Stell deine Frage...

Frage Nr. 35927 von 16.11.2022

Hallo, ich bin eine 30-jährige Frau und möchte gerne auf die Frage Nr. eingehen: 35896

1. Du schreibst, dass man es als Frau so viel leichter beim Dating hat. Das ist nur bedingt richtig. Was stimmt ist, dass viele (ich mag Verallgemeinerungen nicht so sehr) Frauen deutlich wählerischer sind, was ihre Sexualpartner angeht als Männer. Viele Männer würden nach eigenen Aussagen auch mit einer Frau Sex haben, die sie nicht sonderlich attraktiv finden. Auf Frauen trifft das deutlich seltener zu. Aus diesem Grund gebe ich dir Recht: Die meisten Frauen können mit "irgendeinem" Mann Sex haben, wenn sie es wollen, indem sie zum Beispiel in eine Bar gehen. Aber auch nicht immer. Ich habe zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass es, wenn ich "es wirklich darauf anlege" , kaum "Männer abschleppen" kann. Das war auch schon mit 20 so. Geklappt hat das immer dann, wenn ich selbstbewusst und gut gelaunt war, es mir aber im Prinzip egal war, ob ich mit jemandem nachhause gehen kann oder nicht. Allerdings musst du als Frau, die alleine in eine Bar geht, auch viele andere unschöne Dinge hinnehmen. Du kannst nicht einfach so etwas trinken, wenn dir gerade danach ist. Viele Männer sehen dich dann als Freiwild, du wirst dumm angemacht oder angefasst und das von Männern, von denen du das eben NICHT willst. Und nein: Das fühlt sich nicht gut an. Du fühlst dich dadurch auch nicht attraktiver, es ist einfach nur unangenehm.
2. Ist Sex bekommen können und Erfolg bei der Beziehungssuche haben nicht unbedingt das Gleiche. Was glaubst du wie viele Frauen darunter leiden, wenn sie sich eigentlich eine Beziehung wünschen - und es den Kerlen am Ende nur um Sex ging. Oft auch nach vielen Dates oder wenn schon Gefühle im Spiel waren. Auch das ist kein schönes Gefühl und kratzt noch mehr am Selbstbewusstsein als "nur" gefriendzoned zu werden (was dir im Übrigen auch als Frau passieren kann). Denn es geht dann nicht mehr primär um dein Äußeres, sondern es geht an deine Substanz, an das was dich als Person ausmacht. Weil du für Sex vielleicht gut genug warst, es aber für mehr nicht reicht. Dabei gibt es sehr viele Männer, die eigentlich nur Sex wollen. Das ist an sich nicht weiter schlimm. Das Problem ist nur, dass sie den Frauen etwas vorspielen, sie also anlügen, um an ihr Ziel zu kommen. Deswegen glaube ich nicht, dass Frauen es da so viel leichter haben. (Auch wenn ich deine Gedankengänge verstehen kann). Hinzu kommt, dass Frauen in unser Gesellschaft sehr stark auf ihr Äußeres reduziert werden.
3. Zum Thema "Nice Guy" habe ich eine sehr starke Meinung (die aber sehr viele Menschen mit mir teilen, auch Männer). Das Problem ist nicht, dass diese Kerle nett und zuvorkommend sind. Auch nicht, dass sie unerfahren sind. Das Problem dieser "netten" Typen ist oft, dass sie ein sehr schlechtes Bild von sich selbst haben und alles tun würden, am bei Frauen gut anzukommen. Sie sind eben nicht NETT im Sinne von "einen guten Charakter haben", sondern sie sind im Grunde sehr manipulativ. Wenn ihnen eine Frau gefällt, geben sie ihr dauernd Recht, tun alles für sie - und das meist obwohl diese keinerlei Interesse an Mr. nice guy zeigt. Und was passiert dann? Die Frau verliert den Respekt. (Das Phänomen gibt es aber auch andersrum, auch Frauen landen in der Friendzone). Denn wenn jemand nicht für seine Bedürfnisse einsteht, keine eigene Meinung vertritt, jemand anderen anhimmelt, obwohl die der- oder diejenige ihn nicht mal sonderlich gut behandelt, dann zeugt das von einem sehr geringen Selbstwergefühl. Und das ist, so hart das klingt, leider nicht sexy. Ob man in der Friendzone landet, hängt natürlich noch von weiteren Faktoren ab (Der Beziehungscoach Emanuel Albert, gibt es bei Youtube oder Spotify, hat da ein paar kluge Dinge zu gesagt, aber auch hier auf lilli.ch gibt es einige gute Tipps, wie man für das andere/bevorzugte Gechlecht interessanter wird. Vorab: Frust, Selbstmitleid und ein Mindset, das von einem Kampfmodus zeugt ("die Frauen, die mich nicht wollen und die es ja so viel einfacher haben") sind dabei nur wenig hilfreich.

Abschließend möchte ich dir sagen, dass es sehr viele Männer (und auch Frauen!) gibt, die erst sehr spät sexuelle Erfahrungen machen. Das kann viele verschiedene Gründe haben. Aber: mit 30 ist das Leben noch nicht vorbei. Auch musste ich schon etwas schmunzeln bei deiner Beschreibung "älterer Frauen". Was meinst du wie viele Frauen um die 30 noch von 20ig Jährigen angesprochen werden. Erstens, weil man ihnen ihr Alter nicht unbedingt ansieht und zweitens, weil diese Frauen oft viel selbstbewusster sind als die ganz jungen.

Liebe Grüße und steck den Kopf bitte nicht in den Sand.

Unsere Antwort

Vielen Dank für deinen wirklich interessanten Input. Vielleicht liest der Frager von 35896 sie ja. Ich habe dazu noch ein paar Gedanken, die ich hier mal anfüge:

Hast du Studien dazu, dass Frauen deutlich seltener mit einem Mann Sex haben würden, den sie nicht sonderlich attraktiv finden? Diese Studien würden mich interessieren. Könnte es sein, dass da Männer und Frauen Aussagen über sich selbst gemacht haben? Solche Aussagen sind mit grosser Vorsicht zu geniessen. Denn Menschen haben ein Bild von sich, eine Selbsteinschätzung, die oft nicht so gut übereinstimmt damit, wie sie sich dann tatsächlich verhalten. Es gibt so viele Gründe, warum eine Person, unabhängig ihres Geschlechts, in irgendeinem Augenblick Sex haben möchte – und da können auch Gründe dabei sein, die nichts mit der Attraktivität des anderen zu tun haben. Und da sind bisweilen auch Gründe dabei, auf die sie im Nachhinein nicht stolz ist.

Mich würden auch Studien interessieren darüber, dass die meisten Frauen mit irgendeinem Mann Sex haben können, wenn sie in eine Bar gehen. Aus meiner Sicht gibt es grosse Unterschiede – ältere (wirklich ältere, nicht 30-jährige) Frauen zum Beispiel machen da oft ganz andere Erfahrungen als junge Frauen. Und auch als junge Frau hast du ja selbst die Erfahrung gemacht, dass du Männer nicht einfach abschleppen kannst. Aber, kennst du da Studien?

Ich mag Verallgemeinerungen auch nicht. Es gibt durchaus seriöse Forschung über Geschlechterunterschiede, und es ist hilfreich, sich damit auseinanderzusetzen. Eine gute Zusammenfassung der Forschung bietet das Buch "Von Natur aus anders" von Doris Bischof-Köhler, das 2022 in einer Neuauflage erschienen ist. Durch die Medien kursieren aber relativ oft Meinungen über Männer, Frauen und Sex, die nicht hilfreich, sondern schädlich sind. Es ist hilfreich, sich immer und immer wieder kritisch damit auseinanderzusetzen.

Wir sind uns einig: Wir kommen nicht weiter, wenn Männer die Haltung vertreten, dass Frauen es besser haben, und wenn Frauen die Haltung vertreten, dass Männer es besser haben. Menschen, die anderen Gendergruppen als "Mann" und "Frau" angehören, können dann auch die Haltung vertreten, dass es Männer und Frauen besser haben und so weiter. So entwickelt sich ein Gegeneinander, und es kommt zu Diskussionen, die uns nicht weiterbringen.

Und es ist so schnell, in diese Haltung hineinzukommen. Wenn du schreibst: "Dabei gibt es sehr viele Männer, die eigentlich nur Sex wollen. Das ist an sich nicht weiter schlimm. Das Problem ist nur, dass sie den Frauen etwas vorspielen, sie also anlügen, um an ihr Ziel zu kommen", kommt garantiert das Gegenargument: "Sehr viele Frauen machen Männern etwas vor, wenn sie mit ihnen Sex haben; sie benutzen den Sex als Mittel zum Zweck, um dadurch zu einem anderen Ziel zu kommen. Sie nutzen das sexuelle Begehren der Männer aus." Und darauf hätte dann wieder eine andere Person ein Gegenargument – und so weiter.

Hilfreich ist aus meiner Sicht hingegen, dass wir diese Haltung entwickeln: "Respektvolles oder respektloses Verhalten ist keine Frage des Geschlechts. Unabhängig vom Geschlecht bin ich verantwortlich für mein Glück und kann etwas für meine Entwicklung tun." Das führt zu folgenden Fragen: "Was kann ich tun, dass ich mit meinem Mannsein/Frausein/divers-sein etc. glücklich werde? Wie kann ich das für mich am besten entwickeln und fördern?" Und schliesslich: "Wie kann ich Herausforderungen, die für meine Gendergruppe tendenziell häufiger sind als für andere Gendergruppen, sinnvoll und erfolgreich angehen?"

Emanuel Albert kenne ich nicht, danke für den Tipp. Kennst du das Arbinger Institute?

Schau dir mehr Antworten und Infotexte an zum Thema