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Frage Nr. 36369 von 20.02.2023

Hallo liebes Lilli-Team,

vorab eine wahrscheinlich wichtige Information: Ich (39 Jahre alt, männlich) habe häufiger mal Phasen von extremer Krankheitsangst. Ganz klassisch mit ständigem Symptome googlen und dann auf das schlimmste versteifen. Ich fahre dann wochenlang Gedankenkarussel und komme dort nicht mehr wirklich heraus.

Vor einigen Tagen war ich zum ersten Mal in meinem Leben bei einer Prostituierten und werde es wohl auf ewig bereuen.
Denn seitdem habe ich extreme Panik, dass ich mich mit HIV angesteckt haben könnte. Dabei haben wir selbstverständlich mit Kondom verhütet, sowohl beim Oral- als auch beim Vaginalverkehr. Es gab auch keinen Unfall oder so. Das Kondom ist nicht abgefallen oder geplatzt o.ä.. Auch sind unsere Geschlechtsteile nicht vorher "aneinander geraten" als noch kein Kondom drauf war. Also eigentlich alles wie es sein soll.
Trotzdem ist mein Gehirn felsenfest überzeugt, dass ich mich total in Gefahr gebracht habe. Was ist wenn vielleicht n kleines Loch im Gummi war das niemand bemerkt hat? Was ist wenn das Gummi doch geplatzt ist, ich es aber nicht bemerkt habe und sie auch nicht. Oder sie hat es mir nicht gesagt oder was es sonst noch für Möglichkeiten gibt...
Da ich weiß, dass ich leider so ticke, habe ich extra aufgepasst ob das Kondom noch in Ordnung aussieht, was es auch tat. Aber natürlich habe ich es jetzt nicht von allein Seiten genau begutachtet, was rückblickend vielleicht besser für meinen Kopf gewesen wäre.

Ein bis zwei Tage nach diesem Erlebnis waren dann auch meine Lymphknoten am Hals geschwollen. Zumindest glaube ich, dass das Lymphknoten sind, obwohl ich noch nicht mal weiß ob sich das nicht schon immer so angefühlt hat. Denn normalerweise taste ich da nichts ab. Ich habe aber das Gefühl, dass das nicht immer so war und neu ist. Beim Schlucken knackt es auch immer in der Kehle.
Seit dem Erlebnis taste ich täglich dutzende Male meinen Körper auf geschwollene Lymphknoten ab und messe täglich mehrfach Fieber. Die (vielleicht) geschwollenen Lymphknoten am Hals sind für mich der Beweis, dass ich mit meiner Befürchtung recht habe. Ich kann nicht mehr schlafen, ich kann nichts essen, ich schließe mich nur noch ein, habe keine Lust mehr irgend jemanden zu sehen oder zu treffen. Ich habe ein Familienessen abgesagt weil ich dann beim grübeln gestört werde und so tun muss als würde es mir gut gehen. Zum Fußball gehe ich derzeit auch nicht mehr, obwohl eigentlich wichtige Spiele anstehen und am liebsten würde ich mir sogar einen Krankenschein nehmen, weil ich mich eh nicht auf die Arbeit konzentrieren kann. Ich schließe mich nur noch in meiner Wohnung ein und grübel vor mich hin, achte penibel auf irgendwelche Änderungen an meinem Körper und hoffe, dass es irgendwann einfach nur wieder aufhört. Ich habe momentan sogar das Gefühl, dass ich nie wieder Sex haben kann. Wobei ich sowas bzgl. Sex noch nie hatte und mich selbst frage warum ich da so reagiere.

Der logische Teil meines Gehirns weiß, dass die Gefahr eher gering ist, eben weil wir mit Kondom verhütet haben und es keine Unfälle gab, aber ein anderer Teil meines Gehirns warnt mich die ganze Zeit, ununterbrochen, 24 Stunden am Tag davor, dass mein ganzes Leben nun den Bach runter geht. Ich komme aus dieser negativen Gedankenspirale nicht mehr raus. Ich glaube wenn ich in den nächsten 1-6 Wochen Fieber bekommen sollte oder ähnliches, dreh ich völlig durch. Ich habe also auch noch quasi Angst vor der Angst.
Und auch wenn ich jetzt schon Angst davor habe, muss ich immer noch wochenlang warten bis ich einen HIV Test machen kann. Ich habe keine Ahnung wie ich die Zeit überstehen soll.

Ich bin echt verzweifelt und wäre für jeden guten Rat oder Hilfestellung echt dankbar.

VG

Unsere Antwort

Wenn deine Ängste dermassen massiv sind, würde ich dir dringend empfehlen, dich unverzüglich in psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung zu begeben.

  • Ich kann, ohne dass ich dich kenne und mehr von dir weiss, nicht sagen um was es bei dir geht.
  • Es könnte um das Konzept: "Krankheit als Strafe" gehen. Das heisst, dass du vielleicht denkst, du hast etwas falsches getan und wirst dafür bestraft.
  • Es könnte aber auch um Kontrolle und Verantwortung gehen. Das heisst du versuchst dich zu kontrollieren, was dir aber nicht gelingt und dann ergeben sich daraus merkwürdige Gedanken.
  • Möglich wäre aber auch, dass du einfach zu wenig ausgelastet bist von Seiten deines Gehirns und sich "dein Gehirn dann selber was sucht" zum Nachdenken.
  • Es könnte aber auch darum gehen, dass du während du bei der Sexarbeiterin warst, eine starke emotionale Erfahrung gemacht hast, auf die du nicht vorbereitet warst und die dir vielleicht unpassend vorkommt und du sie deshalb auf diese Weise verdrängst.

Und sicher gibt es noch jede Menge mehr möglicher Gründe. Du könntest also anfangen, darüber nachzudenken, warum du denkst, dass du krank wirst. Nachdenken, auf einer anderen Ebene, nicht ob das Kondom vielleicht ein Loch hat, sondern was steckt dahinter, was bedeutet Krankheit für dich.

Du könntest auch anfangen darüber nachzudenken, warum du deinen Körper als getrennt von dir wahrnimmst. Denn offenbar traust du ihm gar nichts oder nur schlechtes zu und musst ihn ständig kontrollieren (zB Lymphknoten abtasten).

Um deinen Körper und deinen Geist oder das Denken im Gehirn wieder näher zusammenzubringen, könntest du anfangen, das Spüren zu verfeinern. Das kannst du machen indem du dich darauf konzentrierst, was du im Körper spürst, während du diese unrealistischen Gedanken hast. Du solltest deine Aufmerksamkeit dann auf deinen Körper richten, während die Gedanken einfach weiterlaufen. Und du kannst experimentieren, das, was du im Körper spürst – Druck, Kribbeln, was immer es ist –, auszubreiten oder zu verändern.

Das ist nicht einfach, weil du es gewohnt bist, in deinen Gedanken zu kreisen, das heisst deine Aufmerksamkeit alleine auf deine Gedanken zu legen. Du kannst so mit der Zeit lernen, deine Aufmerksamkeit beziehungsweise das, worauf du deine Aufmerksamkeit richtest, besser zu steuern. Deine Gedanken selber machen überhaupt nichts. Das was so unangenehm ist, ist dass deine Aufmerksamkeit daran klebt.

Ich gebe dir mal ein Beispiel. Angenommen du sitzt in einem vollen Zug, und um dich herum gibt es lauter Gespräche, zum Teil sehr laute. Du möchtest etwas lesen, aber es gelingt dir nicht, weil du ständig die Gespräche der anderen in deinen Ohren hast, besonders die von den laut sprechenden Leuten. Nun hast du die Möglichkeit, zu üben, deine Konzentration auf dem Buch oder dem Artikel zu halten. Das ist möglich, es Bedarf allerdings manchmal einiges an Üben, je nachdem wie laut es aussen herum ist.

Du kannst allerdings auch einfach den Gesprächen der anderen folgen, obwohl dich das vielleicht nervt und nicht interessiert. Das heisst aber dann, dass du deine Aufmerksamkeit (noch) nicht steuern kannst. Gleichzeitig haben diese Gespräche aber keinen inhaltlichen Einfluss auf dein Leben. Also wenn einer sagt, "meine Grossmutter ist total schrecklich,weil..." deshalb würdest du deine Grossmutter noch lange nicht schrecklich finden.

Das Gleiche ist es mit deinen Gedanken. Sie sind laut redende "Mitreisende". Willst du ihnen zuhören oder nicht? Das entscheidest du.

Und wenn du nicht permanent allen zuhören willst, lohnt es sich, deine Aufmerksamkeit wie einen Muskel zu trainieren. Was dir dabei hilft ist, wenn du mehr im Körper spürst. Du richtest dann deine Aufmerksamkeit auf das Fühlen in deinem Körper. Das bringt einen doppelten Vorteil: Einerseits lenkst du deine Aufmerksamkeit an einen anderen Ort. Denn einfach nur die Gedanken zu wechseln ist oft schwieriger, vielleicht weil das im Gehirn nahe bei einander ist.

Und der andere Vorteil ist, dass du wieder mehr Kontrolle über deinen Körper gewinnst. Denn je separierter man sich empfindet "Kopf-Körper", um so mehr Verwirrung kann das in den Gedanken auslösen. Die Gedanken versuchen dann oft etwas zu kontrollieren, was sie aber nicht kontrollieren können, weil es ja gefühlt keine stabile Verbindung dahin (in den Körper) gibt. Verstehst du was ich meine? Falls du Rückfragen hast, kannst du gerne noch einmal schreiben.

 

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