Hallo,
ich habe gelesen, dass es Studien gibt, die belegen, dass viel mehr Menschen, die sich als trans o.Ä. verstehen, ihr biologisch weibliches Geschlecht als nicht passend zu ihrer sexuellen Identität empfinden und ggf. daher dieses angleichen. In der Statistik wurde außerdem gezeigt, dass im zeitlichen Verlauf, die Anzahl von trans-Männern (biolog. weibliches Geschlecht) immer mehr zu genommen hat als von trans-Frauen (biolog. männliches Geschlecht). Daher würde mich interessieren, ob dies wirklich stimmt und diese Studien/Statistiken seriös sind. Wenn dies der Fall ist, würde es mich interessieren, welche Erklärungsversuche es für diesen Unterschied gibt. Die besagte Studie hat nahe gelegt, dass dies daran liegt, dass biolog. Frauen sich häufiger als trans identifizieren, weil es wenig erstrebenswert ist sich dem weiblichen Rollenbild und damit einhergehenden "Nachteilen" zu fügen. Gibt es auch andere Erklärung, denn diese würde nahelegen, dass trans-Männer eigentlich nur die gesellschaftliche Rolle der Frau ablehnen. Aber ich vermute hinter einer trans-Identität verbirgt sich mehr als nur die Ablehnung der gesellschaftlichen Normen für das eigene biologische Geschlecht.
Unsere Antwort
Du hast völlig recht, die Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieser Studie anzuzweifeln. Eine Transidentität entsteht nicht allein durch die Ablehnung einer gesellschaftlichen Geschlechterrolle. Das mag bei manchen trans Personen mit hineinspielen, bei anderen hingegen gar nicht.
Ganz allgemein gibt es bislang wenig wirklich aussagekräftige Zahlen über trans Personen – denn lange Zeit wurden solche Daten gar nicht erhoben oder wenn, dann oft mit sehr unterschiedlichen Definitionen davon, wer überhaupt als trans gilt.
In den meisten Statistiken finden sich mehr trans Frauen als trans Männer. Es stimmt also schon mal nicht, dass eine Ablehnung des weiblichen Rollenbilds eine Erklärung für eine Mehrheit der Transidentitäten bietet. In neueren Studien nähert sich dieses Verhältnis mehr auf 1:1 an. Das liegt aber vermutlich nicht daran, dass es auf einmal mehr trans Männer gibt, sondern dass trans Männer vorher einfach nicht so viel Beachtung gefunden haben. Berichtet wurde früher fast immer nur über trans Frauen, denn die waren auch für die Medien spannender. Denn – und da sind Geschlechterrollen jetzt wichtig – „Männer“, die sich weiblich zeigen, waren und sind noch immer ein größerer Tabubruch als „Frauen“, die sich männlich zeigen. Das bedeutet auch, dass trans Männer oftmals länger unter dem Radar fliegen konnten, da sie mehr Möglichkeiten hatten, ihre männliche Identität auszuleben, ohne dass das von außen sofort gesehen und bestraft wurde. Und unter dem Radar zu fliegen war bis vor wenigen Jahren die einzige wirkliche Option, wenn man nicht sein gesamtes Leben aufs Spiel setzen wollte. Jetzt, da die Versorgung, Sichtbarkeit und Akzeptanz von trans Personen sich deutlich verbessert hat, wird das unter dem Radar fliegen weniger erstrebenswert und auch trans Männer werden sichtbarer. Du kannst noch viel mehr zu diesen Statistiken in diesem Artikel der Deutschen Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit e.V. nachlesen.
Die Art von Erklärungsversuchen aus der Studie, die du nennst, zielt immer wieder darauf ab, zu behaupten, dass es trans Personen eigentlich "nicht wirklich" gibt, sondern diese Menschen nur versuchen, mit einem anderen Problem klarzukommen. Das stimmt nicht. Trans Menschen sind real und es hat sie vermutlich schon immer gegeben. Die Gründe zu suchen, mag interessant sein, aber es ist oft nicht hilfreich. In jedem Fall müsste man dann auch nach den Gründen suchen, warum manche Menschen cis sind. Dieselbe Diskussion gab und gibt es auch um Homosexualität. Auch hier wurde lange versucht, eine „Ursache“ zu finden – ohne gleichzeitig nach der „Ursache“ für Heterosexualität zu suchen. Es wäre vermutlich besser, wenn wir uns als Gesellschaft stattdessen mehr darauf konzentrieren, diese Vielfalt zu akzeptieren und uns bemühen, allen ein faires und gutes Leben zu ermöglichen.
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