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Frage Nr. 38828 von 20.09.2024

Hallo Lilli
Ich habe eine Frage, wie ich so etwas einordnen kann:
Als Medizinstudentin hatte ich in der Unterassistenz bei der Eintrittsuntersuchung eines älteren Mannes die Sensibilität grob geprüft, wie es Standard ist (ich fahre über beide Arme, dann über beide Beine und frage ob er es spürt und auf beiden Seiten gleich).
Dieser Mann sagte bei den Beinen er sei sich unsicher. Also wiederholte ich die Untersuchung. Er sei sich immer noch unsicher. Nach etwa dem dritten Mal fing er an zu lachen und sagte, er geniesse es gerade einfach.
Ich dachte mir nicht viel dabei, ausser dass mir das sehr unangenehm war als junge Frau, die in der Vergangenheit Schwieriges erlebt hat. Im Nachhinein frage ich mich, ob das anzüglich war?
Es erinnert mich an die Schule, wo ein Junge auch immer Körperkontakt suchte und ich meinte, das gehöre zu einer Freundschaft und zum „nett sein“ dazu, das zuzulassen, auch wenn es mir unangenehm war ständig berührt zu werden und ich kein romantisches/ sexuelles Interesse hatte.
Das ist alles nicht „schlimm“. Aber es ist jemand, der mir in dem Moment näher kommt als mir lieb wäre und wo ich mich nicht wohl/ sicher fühle.
Ich frage mich auch, wie man mit so etwas umgehen kann in der Situation, ohne ein grosses Aufhebens zu machen.
Danke. :)

Unsere Antwort

Das Verhalten des Mannes war unangemessen. Du hast das selbst gemerkt: es war dir sehr unangenehm. Er hat die Situation sexualisiert. Man kann hier von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sprechen Persönlich kannst du dir überlegen, wie du diese Erfahrung langfristig für dich selbst einordnest. Nimmst du es persönlich als private Erfahrung, schüchterst du dich ev. selbst ein. Das kann dazu führen, dass dir körperliche Untersuchungen schwer fallen oder du unsicher wirst.

Zu deinem Beruf als Ärztin gehört die körperliche Untersuchung. Diese braucht deine professionelle Haltung. Wir sind der Meinung, dass sexualisiertes oder anderweitig übergriffiges Verhalten nicht nur von Patient*innen bereits im Studium thematisiert werden müsste. Sicher sollte es die Arbeitgeberschaft tun. Sie hat ihre Angestellten vor Übergriffen zu schützen. Eine Ärztin, die sexuelle Belästigung erwarten und ertragen muss, weil es keine Regeln dazu gibt, ist nicht wirklich arbeitsfähig. Du müsstest wissen, ob du in solchen Situationen die Untersuchung abbrechen sollst und wie du den Patienten zurechtweisen kannst. Möglicherweise gibt es an deinem Arbeitsplatz bereits solche Regeln und Richtlinien. Schliesslich ist bekannt, dass Ärzt*innen immer wieder sexuelle Belästigung erleben. Dazu gibt es etliche Untersuchungen. In der Schweiz gibt es remed, ein Unterstützungsnetzwerk für Ärztinnen und Ärzte. Dahin kannst du dich wenden, wenn du im professionellen Setting in eine Krise gerätst.

Lass dich nicht einschüchtern. Sexuelle Belästigung wirst du nicht verhindern können. Du musst sie aber auch nicht ertragen. Einerseits kannst du an deiner Professionalität arbeiten und selbst lernen, eindeutig und klar aufzutreten und deine Arbeitsschritte anzukündigen und begründen. Andererseits ist es die Pflicht deiner Arbeitgeber, dir ein Arbeitsfeld zu bieten, indem du arbeitsfähig bist. Wahrscheinlich wirst du Kolleg*innen treffen, die 'alles nicht so schlimm' finden oder behaupten, ihnen passiere so etwas nicht. Diese Kolleg*innen sind nicht hilfreich. Sie tragen dazu bei, dass die Arbeitsatmosphäre für Einige belastend wird und dass übergriffiges Verhalten verschwiegen wird. Das ermutigt allerdings nur die Übergreifer*innen. 

 

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