Ich hatte einvernehmlich Sex mit meinem ehemaligen Psychotherapeuten. Die Therapie ist seit ca. zwei Monaten beendet und wir sind erst vor kurzem wieder privat in Kontakt getreten. Ich habe ihn gerne um mich, aber trotzdem fühlt es sich nicht richtig an, weil er mal mein Therapeut war. Wie soll ich damit umgehen?
Unsere Antwort
Vertrau deinem Gefühl. In deiner Psychotherapie warst du die Patientin, die sich mit einem Leiden in Behandlung begeben hat. Der Psychotherapeut hat viel von dir erfahren und hat dich sehr intim kennen gelernt. Er weiss wie du reagierst, was dir Angst macht, was dich freut und wahrscheinlich auch, wie das alles mit deiner Biografie zusammenhängt. Er war der Helfer in der Beobachtungsposition, der dich studieren konnte und dem du wahrscheinlich vertraut hast. Damit hattet ihr in der Therapie sehr verschiedene Rollen, die ihr zwei Monate nach Therapieende sicher nicht abgelegt habt. Darum fühlt es sich merkwürdig an, wenn dein Behandler auch dein Sexualpartner ist.
Zudem ist eine therapeutische Beziehung sehr hierarchisch. Das ist für eine medizinische /therapeutische Behandlungsbeziehung sinnvoll. Es ist besser, wenn der Arzt/Psychotherapeut ein Setting anbietet, indem er sich auskennt und Bescheid weiss. Das ist die Grundlage für Behandlungserfolge. Du kannst als Patientin den Behandler wechseln und dir ein passenderes Setting suchen. Aber du kannst nicht eine Praxis ummodeln und Behandlungsmethoden fordern, die der Behandler nicht gelernt hat. Diese Hierarchie wird weiter in eurer aktuellen Beziehung spürbar sein.
Therapeutischen Beziehungen sind darum Abhängigkeitsbeziehungen. Darum haben alle Behandlungsberufe eine Berufsordnung oder ethische Richtlinien. Alle diese Richtlinien enthalten des Verbot des sexuellen Kontakts zu Patient*innen, dass auch die Zeit nach der Therapie betrifft.
In der Berufsordnung der Föderation der CH-Psycholog*innen (FSP) wird das in Art. 31 so formuliert: «Mitglieder dürfen das besondere Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnis in psychotherapeutischen Beziehungen nicht missbrauchen. Ihre Verantwortung für die Patientinnen und Patienten geht jederzeit ihren persönlichen Interessen vor, und sie unterlassen insbesondere jede Form von sexueller Beziehung, finanzieller Ausbeutung oder ideologischer oder religiöser Beeinflussung. Das Verbot missbräuchlicher Beziehungen bleibt nach Abschluss von Psychotherapien während einer dem konkreten Einzelfall angemessenen Zeitdauer, aber mindestens zwei Jahre bestehen.»
Auch dein Therapeut wird einer Berufsordnung verpflichtet sein. Er hat damit die Verantwortung, wenn er gegen seine Berufsordnung verstösst. Das weiss auch der Gesetzgeber. In der Schweiz z.B. steht die «Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit» im Artikel 193 StGB Schweiz unter Strafe.
Wenn du also das Gefühl hast, es sei etwas nicht richtig, hast du recht. Vielleicht hast du das Gefühl, dass die Abhängigkeit und die frühere Hierarchie heute keine Rolle mehr spielen. Vielleicht haben sie aber mit deinem Nicht-Richtig-Gefühl zu tun. Darüber könntest du dir Gedanken machen und schauen, wie sich deine Gefühle entwickeln. Ihn könntest du fragen, aus welchem Grund er seine Berufsordnung missachtete. Deine Gefühle werden dir den für dich richtigen Weg zeigen.
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