Ich, w, 29 und mein Freund, m, 31 sind seit ca 2 Jahren in einer sehr wechselhaften Beziehung. Er hat eine Leidenschaft für bestimmte sexuelle Praktiken wie z.B. BDSM, die ich nicht teile. Abgesehen davon ist der "normale" Sex innig und schön.
Persönliche Probleme (schwere Erkrankungen von Angehörigen, Depressionen, Burnout, Schulden) bringen uns immer wieder an Grenzen. Wir haben eine sehr destruktive Streitkultur mit vielen Vorwürfen und sehr viel Wut entwickelt. Wir schaffen es immer uns aber wieder zu vertragen, besser zu kommunizieren, aufeinander einzugehen, Nähe zu schaffen.
Weihnachten haben wir getrennt verbracht. Während dieser Zeit haben wir uns gestritten. Nachdem er zurück war, hat er erzählt, dass er sich ohne Rücksprache sexuell ausgelebt hat. Er hatte vorher seine Bedürfnisse klar kommuniziert, auf die ich aus verschiedenen Gründen nicht eingehen wollte und konnte. Klar war für mich aber, dass nichts ohne Rücksprache unternommen wird.
Zuerst war ich wütend, jetzt bin ich traurig, fühle mich hintergangen und betrogen. Im Moment habe ich kein Vertrauen mehr. Meine Bedingung für alles weitere ist ein gemeinsames Therapiegespräch. Er sieht das anders und fordert zuerst ein Bekenntnis zu dieser Beziehung, zu unserer Liebe und mehr Nähe. Ich fühle mich damit sehr unwohl, möchte den weiteren Verlauf dieser Beziehung gerne offen lassen und Nähe kommt für mich im Moment überhaupt nicht in Frage. Ich weiß gerade nicht weiter. Mir fehlt ein Weg, eine Richtung, ein Lösungsvorschlag der für uns beide funktioniert.
Macht diese Beziehung Sinn wenn wir so toxisch aufeinander wirken? Ergibt es Sinn, wenn ein Partner seine Bedürfnisse so zurück stecken muss? Wie lernen wir mit der Wut umzugehen? Müssen Nähe und Vertrauen die Basis für eine gemeinsame Therapie sein? Ich würd mich über ein bisschen Reflexion von außen freuen, weil ich aufgrund der "heiklen" Thematik das nicht mit meinen Kolleginnen besprechen möchte.
Unsere Antwort
Nein, ich rate dir nicht, deinem Freund zu vertrauen. Schau mal, wie sich das liest: Er hintergeht dich und möchte dann, dass du dich zur Beziehung, zu Liebe und Nähe bekennst. Mal ganz ehrlich: Wenn du das tust, wie ernst kann er dich dann nehmen? Und was versteht er von Liebe und Nähe, wenn sie beinhalten, dass er so mit dir umgehen kann?
Wut hat ihre Gründe. Ein toxischer Umgang hat seine Gründe. In einer guten Paartherapie können diese aufgedeckt werden. Nein, ich finde nicht, dass Nähe und Vertrauen die Basis für die Therapie sind. Im Gegenteil: Wenn wirklich Nähe und Vertrauen bestehen, ist keine Paartherapie nötig. Nähe und Vertrauen können ein Therapieziel sein. Die Therapie kann aber auch verdeutlichen, dass die Beziehung keine Zukunft hat. Eine gute Paartherapie anerkennt den offenen Ausgang und anerkennt die Trennung als Option.
Nein, eine Beziehung, in der eine Person ihre Bedürfnisse so zurückstecken muss, macht keinen Sinn. Allerdings: Niemand sagt dir, dass du das musst. Und wenn du genau hinschaust, merkst du auch, dass du nicht einfach «deine Bedürfnisse» zurücksteckst. Sondern du steckst bestimmte Bedürfnisse zu Kosten anderer zurück. Sehr oft ist es so, dass man das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbehauptung zu Kosten des Bedürfnisses nach Harmonie und Nicht-Allein-Sein-Müssen zurücksteckt. Sei dir bewusst, dass das dein Entscheid ist. Du bist aus freien Stücken in dieser Beziehung.
Ich sage immer: «in einer Beziehung gibt es kein Wir, sondern nur ein Ich». Es hat einen guten Grund, warum dir ein Lösungsvorschlag fehlt, der für euch beide funktioniert. Ihr seid keine Einheit, kein Eins. Ganz im Gegenteil. Daher: Sorge dafür, dass du eine Lösung findest, die für dich am ehesten stimmt. Ich kann dir jetzt schon sagen, dass die nicht einfach sein wird – denn die Optionen sind alle nicht leicht. Er wird dich nicht unterstützen. Was dir hilft, ist deine eigene Stärke und Eigenständigkeit. Dazu bitte ich dich, diesen Text über Eigenständigkeit zu lesen.
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