Hallo Lilli
Ich bin W/23 und seit fast 6Jahren in einer glücklichen Beziehung. Seit einiger Zeit habe ich jedoch leichte Zweifel ob ich mein ganzes Leben mit ihm verbringen möchte. Ich habe jemanden kennengelernt mit dem ich mich sehr gut verstehe und an dem ich ernsthaftes Interesse hätte, wenn ich nicht schon in einer festen Beziehung wäre. Mir ist bewusst, dass ein Partner nicht perfekt ist und es immer Eigenschaften und Dinge gibt welche man nicht so toll findet. Ich nehme deshalb an, ich finde meinen Kollegen auch deshalb so toll weil ich ihn noch nicht so gut kenne wie meinen Freund und schlechte Eigenschaften auch nicht so stark wahrnehme.
Ich weiss nun aber einfach nicht wie ich damit umgehen sollte, dass ich jemanden kennengelernt habe, den ich sehr mag und attraktiv finde. Ich ertappe mich schon dabei, dass ich mich verhalte als hätte ich mich in meinen Kollegen etwas verliebt. Ich muss ständig an ihn denken und versuche es so zu lenken, dass wir uns zufällig immer wieder sehen. (Ich habe mich auch schon beim Gedanken ertappt, dass ich es bereut habe, dass ich schon vergeben bin)
Mein Freund ist jedoch sehr liebevoll, wir haben guten Sex, wir sprechen und lachen viel zusammen.
Ich habe auch schon davon gelesen, dass nach 6 bis 7 Jahren Beziehung der Oxytocin Spiegel nicht mehr sehr fest ansteigt und deshalb viele Beziehungen dann eine Krise erleben. Ist es überhaupt möglich eine glückliche monogame Beziehung ein Leben lang zu führen?
Soll ich bewusst den Abstand zu meinem Kollegen suchen? Oder soll ich meine Gefühle so deuten, dass ich doch nicht so glücklich in meiner Beziehung bin wie ich vielleicht denke?Soll ich meinem Freund davon erzählen?
Ich hoffe ihr könnt mir helfen.
PS: Vielen Dank für dieses tolle Angebot und eure Arbeit!:)
Unsere Antwort
Ich kann dir nicht sagen, was du tun sollst. Ich weiß viel zu wenig über dich und deinen Freund, um das einschätzen zu können. Aber vielleicht helfen dir diese Gedankenanstöße weiter:
Es ist definitiv möglich, glückliche monogame Langzeitbeziehungen zu führen. Glücklich bedeutet aber nicht, dass man immer auf Wolke 7 ist, dass alles immer einfach ist oder dass man nie Zweifel hat. Langzeitbeziehungen geraten nicht in erste Linie wegen fehlender Hormone in die Krise, sondern wegen fehlender Beziehungsarbeit. Oft werden Partner*innen irgendwann als selbstverständlich angesehen und man steckt nur noch wenig Energie und Fürsorge in die Beziehung. Viele Menschen denken, dass gute Beziehungen einfach von selbst laufen, ohne dass man irgendwas dafür tun muss. Für eine glückliche Beziehung braucht es aber Einsatz und immer wieder eine aktive Entscheidung füreinander und für das Zusammensein. Denn es ist völlig normal, dass man sich mal für andere Menschen romantisch oder sexuell interessiert, auch wenn man in einer Beziehung ist. Das geht sehr vielen Menschen so. Die Frage ist, wie man damit umgeht. In einigen Beziehungsmodellen finde es alle Beteiligten okay, wenn man diesen Interessen tatsächlich nachgeht. Das heißt dann „konsensuelle Nicht-Monogamie“ und umfasst sowas wie offene und polyamore Beziehungen. Das weißt du ja aber vielleicht schon. Für viele Leute funktioniert das wunderbar und vielleicht wäre es auch für euch passend. Wenn du dir eine solche Beziehung wünschst, musst du das natürlich mit deinem Partner besprechen.
Von dem, was du schreibst, sehe ich keinen Grund, wieso du deine Einschätzung, in einer glücklichen Beziehung zu sein, anzweifeln solltest. Fehlt dir denn irgendwas Wichtiges in der Beziehung – mal abgesehen von der Aufregung und dem Reiz des Neuen, was einfach unvermeidlich mit der Zeit abnimmt? Wie gesagt, sich mal zu jemand anderem hingezogen zu fühlen, ist an sich noch kein Indikator dafür, dass irgendwas in der Beziehung nicht stimmt. Und du hast ja auch schon gut reflektiert, dass dein Kollege dir wahrscheinlich vor allem so toll vorkommt, weil er etwas Neues und Aufregendes ist. Das ist ja auch völlig in Ordnung und der Grund, wieso sich Verliebtheit und Beziehungsanfänge oft so toll anfühlen. Auf Dauer kann dieses Hochgefühl aber nicht bleiben – diesen Hormoncocktail würde unser Körper auf Dauer gar nicht aushalten. Insofern ist es wirklich wichtig, zu überlegen, was du eigentlich willst:
- Möchtest du eine neue Beziehung mit diesem Kollegen – in dem Wissen, dass auch diese nicht auf Dauer so aufregend sein wird, wie es sich jetzt anfühlt?
- Willst du vielleicht einfach Single und ungebunden sein?
- Willst du deine Beziehung behalten, aber dennoch mit diesem neuen Kollegen intim werden können?
Im Grunde ist die Frage: Würdest du mit deinem Partner zusammenbleiben wollen, wenn es da nicht diesen Kollegen gäbe? Und auch: Wie wichtig ist es dir, deine Anziehung ausleben zu können?
Wenn du das ausleben willst, dann führt nichts an einem Gespräch mit deinem Freund vorbei – vorausgesetzt, du möchtest ihn nicht betrügen. Wenn du das eigentlich nicht willst, aber Angst hast, dass etwas zwischen dir und diesem Kollegen passiert, dann würde Abstand natürlich helfen. Wenn du diese Sorge nicht hast, kannst du das Gefühl der Verliebtheit vielleicht auch einfach genießen oder es als sexuelle Fantasie ausleben.
Ich hoffe, das hilft dir ein wenig weiter. Lies doch auch mal den Text Wie entscheide ich mich zum Schlussmachen?
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