Ich sehe auf Instagram immer wieder wie Breathwork Menschen zum Schreien bringt. Ich fragte mich, in es gefährlich sein kann, vor allem wenn man unbewusste Trauma hat. Wie siehst du diesen Trend?
Unsere Antwort
Breathwork ist eigentlich nur die bewusste Wahrnehmung deiner eigenen Atmung. Breathwork kann heissen, dass du verschiedene Atemtechniken lernst. Auch im Yoga und in der Meditation wird Breathwork gemacht, das heisst, die Aufmerksamkeit wird auf die Atmung gelenkt.
Das Wahrnehmen der Atmung ist nicht schädlich. Es kommt also sehr darauf an, was genau mit dem Atem gemacht wird.
Was du auf Instagram gesehen hast, scheint Hyperventilation zu sein. Dabei wird die Atmung so lange so heftig verstärkt, dass Sensibilitätsstörungen, zum Beispiel Kribbeln in Händen, Füssen, Armen und Beinen, auftreten. Wird die Hyperventilation nicht unterbrochen, kann es zu Lähmungen und Muskelstarre kommen. Die Symptome entstehen durch einen unausgeglichenen Säure-Basen-Haushalt, weil durch die dauernde verstärkte und beschleunigte Atmung mehr CO2 ausgeatmet wird. Zu den Symptomen gehören auch Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen und Benommenheit.
Du fragst nach den Zusammenhängen zwischen vergangenen traumatisch verarbeiteten Erlebnissen und Breathwork. Dazu ist die Verbindung von Atmung und Gefühlen wichtig.
Eigentlich atmet man schnell und heftig, wenn man aufgeregt ist, Angst hat oder unter Stress steht. Hyperventilation ist das typische Symptom einer Panikattacke. Diese entsteht durch die Zusammenarbeit von Gefühlen und Atmung. Eine Person bekommt Angst, fühlt sich überfordert oder erlebt einen Flashback. Sie beginnt schneller zu atmen. Durch die Muskelspannung im Brustkorb entsteht das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Die Panik steigt, weil sie Angst vor dem Ersticken hat. Die Atmung beschleunigt sich jetzt automatisch. Die Angst wird wegen dem Kontrollverlust, den die Person erlebt, zur Panik. Die psychogene Hyperventilation ist nicht gefährlich, aber für Betroffene sehr eindrucksvoll. Psychogen bedeutet, dass der Anfall durch psychische Erregungszustände ausgelöst wurde. Darum kennen Menschen, die durch Lebenserfahrungen traumatisiert sind, Panikattacken und damit verbunden auch Hyperventilation. Erste Hilfe bei Hyperventilation ist, 1. die Beruhigung der betroffenen Person, 2. Atmen in einen Plastikbeutel, damit wieder genügend CO2 eingeatmet wird. Dann lassen die Symptome nach.
Rein körperliche Ursachen können Erkrankungen des Herz-Lungensystems sein, für die die o.g. Erste-Hilfe-Massnahmen nicht gelten.
Bestimmte Atemübungen können an den Zustand deiner Panikattacke erinnern und ähnliche Gefühle hervorrufen. Es ist daher sehr wichtig, Übungen zu stoppen, wenn du dich damit nicht mehr wohl und sicher fühlst.
Wie du auf Instagram gesehen hast, nutzen manche die Hyperventilation, um Grenzerfahrungen zu machen. Es gibt auch immer wieder Therapierichtungen, die versuchen, durch eine sog, Katharsis traumatische Erfahrungen zu überwinden. Dabei wird der Körper, zum Beispiel durch Hyperventilation, in eine Ausnahmesituation gebracht. Dadurch werden intensive Gefühle ausgelöst, die zu einer Reduktion der PTBS führen sollen. Wir teilen diese Meinung nicht.
Menschen, die nach traumatischen Erfahrungen unter den Symptomen des PTBS leiden, brauchen fachqualifizierte Behandlung. Dabei spielt die Arbeit mit dem Körper eine grosse Rolle. Die Patient*innen lernen, ihre Atmung wahrzunehmen, so dass Panikattacken früh erkannt werden können. Die Beobachtung des Atmens hilft sehr, eigene Gefühle zu erkennen. Das wiederum hilft, sich selbst zu verstehen. Nach unserer Meinung braucht eine nachhaltige Traumabearbeitung aber auch die Symbolisierung durch die Sprache. Wenn die traumatisierende Erfahrung ausgesprochen werden kann, kann sie Teil der eigenen Biografie werden. Dann gehört sie dazu, liegt in der Vergangenheit und verliert ihren Schrecken.
Atemtherapie gibt es bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese Methoden wurden bis heute weiter entwickelt. Uns scheint, als würden sich diese Methoden derzeit zu einem neuen Trend entwickeln. Atemtherapeut*innen gehen sehr achtsam mit dem Körper und seiner Atmung um. Sie können in Traumatherapien sehr hilfreich sein.
Also als Fazit kannst du mitnehmen: der Atem ist ein mächtiges Werkzeug, um Veränderungen in Gefühlen hervorzurufen. Es muss aber mit Vorsicht eingesetzt werden und die Bearbeitung von traumatisch verarbeiteten Erlebnissen findet am besten bei qualifizierten Fachpersonen statt.
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