Liebes Lilli-Team
Ich weiss nicht, wie ich das formulieren soll. Ich fühle mich völlig durcheinander.
Aufgrund Erinnerungen an sexualisierte Gewalt durch meinen Vater habe ich mich von meiner Familie distanziert, um ein Leben aufbauen zu können und vielleicht irgendwann heilen zu können. Ich habe es niemandem in der Familie gesagt.
Seither erhielt ich immer wieder Geschenke und Nachrichten von meinem Vater, dass er mich vermisst und liebt.
An Weihnachten lehnte ich ein sehr teures Geschenkangebot ab (ich war nicht am Fest). Letzte Woche erhielt ich dann eine lange Nachricht in der er seinen Schmerz und sein Unverständnis für meine Distanziertheit ausdrückt und mich (erneut) auffordert darüber zu sprechen. Er philosophierte auch über mögliche Ereignisse (Kleinigkeiten, Beispiele bei denen er nicht involviert war) in der Kindheit, die der Grund sein könnten. Er würde mir jeden Stein aus dem Weg räumen und hätte mich getröstet hätte er mich weinen sehen. Er fand ich solle die Themen mit ihm angehen, statt einfach die Familie zu verstossen.
Kann man vergessen, dass man körperlich, verbal und sexuell gewalttätig war?
Es verwirrt mich, da es mich erneut an meinem Verstand, meiner Wahrnehmung und meinen Erinnerungen zweifeln lässt und mir wieder mehr Schuldgefühle für alles macht.
Da ich auch trotzdem ein Geschenk bekam hat es mich wieder daran erinnert, dass ich keine Wahl habe, dass mein Nein wertlos ist und ich bekomme, was man mir geben möchte (und wenn es gewaltsam sein muss).
Ich fühle mich so verrückt, wenn ich Flashbacks an schlimme Dinge habe, dissoziiere, dissoziative Anfälle habe usw., aber ich gar nicht verstehe, was wahr ist und was erfunden.
Wie kann ich so etwas aufräumen? Und warum schreibt er so etwas?
(W, 25)
Unsere Antwort
Dein Vater bietet dir einen Kontakt an, den du nicht möchtest. Kannst du ihn nicht einfach bitten, den Kontakt einzustellen? Du bist erwachsen, arbeitest an deiner Eigenständigkeit und brauchst diesen Rückzug. Die Gründe für deinen Rückzug gehen deinen Vater nichts an. Du kannst ihn ebenfalls bitten, dich mit seinen philosophierenden Fantasien über deine möglichen Kränkungen zu verschonen. Schliesslich: wenn er dich so liebt wie er sagt, wird er deine Entscheidungen doch respektieren. Auch wenn er sie nicht versteht. Merkst du, was wir meinen? Mach dich wirklich eigenständig und vertritt deine Entscheidungen. Du musst niemandem sagen, warum du Abstand zur Familie wünschst. Aber, dass du keine Geschenke und auch keinen Kontakt möchtest, solltest du mitteilen. Wenn dein Anliegen nicht respektiert wird, verweigere die Annahme der Geschenke oder verstaue sie im Keller, verschenke sie weiter oder behalte sie einfach.
Für die Traumafolgen solltest du dir unbedingt psychotherapeutische Hilfe holen. Damit du dich nicht immer wieder bedrängt fühlst, solltest die Zweifel an deiner Wahrnehmung auflösen. Auch mit Dissoziationen und Flashbacks kann man lernen umzugehen. Wenn du erträgst, dass du Gewalt erlebt hast und diese Erfahrung ein Teil deiner Lebensgeschichte sein darf, verlieren die Flashbacks in den meisten Fällen ihre Funktion. Dies alles erreichst du mit einer verständnisvollen Begleitung leichter als allein.
Übrigens: Das Verhalten deines Vaters könnte man auch so interpretieren: Er will dich unbedingt unter seiner Kontrolle behalten.
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