Liebes lilli-Team,
ich habe eine komische Frage, ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich sie stellen soll. Falls sie hier irgendwie unangemessen ist, könnt ihr sie auch gerne kürzen oder vielleicht wäre auch eine Trigger-Warnung angebracht?
Ich (männlich, 29) bin in einer sehr liebevollen und schönen Beziehung mit einem Mann. Ich vertraue ihm sehr, ich habe das Gefühl, mit ihm über alles reden zu können und vielleicht auch das erste Mal in meinem Leben eine Beziehung zu haben, die sich sehr sicher und gleichzeitig sehr intensiv anfühlt. Wir haben in letzter Zeit manchmal BDSM-Sex, bei dem er mir gegenüber sehr dominant auftritt, was mich wirklich krass erregt. Das alles fühlt sich auch sehr sicher an und ist mit viel Kommunikation verbunden.
Was mich daran aber irgendwie irritiert und auch beunruhigt, ist, dass ich in meiner Kindheit Gewalt erfahren habe. Ich war lange in Therapie deswegen und hab das alles so weit das eben geht aufgearbeitet (bin zurzeit aber nicht mehr in Behandlung). Als Kind war ich nach außen stark und extrovertiert und hatte das Gefühl viel Verantwortung zu tragen in ziemlich schlimmen Familienverhältnissen, in denen ich eigentlich selbst Schutz gebraucht hätte. Auch jetzt würde ich mich als souverän wirkende Person beschreiben und kann es eher schlecht aushalten, wenn sich jemand um mich kümmert oder ich sonst irgendwie in eine "schwache" Position gerate. Also fühlt es sich möglicherweise auch deswegen gut an, mich beim Sex "auszuliefern" zu können. Kann es trotzdem sein, dass es auch was mit den Gewalterfahrungen zu tun hat, dass mich BDSM-Sex so erregt?
Irgendwie finde ich das eine schlimme Vorstellung und ich habe seit ich darüber angefangen habe nachzudenken das Gefühl, ich darf diese Art von Sex eigentlich nicht genießen. So als wäre das irgendwie auch ein Rückschritt in meiner psychischen Entwicklung. Ich glaube, was mich so erregt an dem Sex, ist gerade die Kombi aus Erniedrigung, leichten Schmerzen und auf der anderen Seite Schutz und Geliebtwerden. So wie ich von meinem prügelnden Vater ja eigentlich auch geschützt und geliebt werden wollte. Uff, ich weiß gar nicht, wie ich damit umgehen soll, mir wird ein wenig schlecht dabei, diese Verbindung so zu ziehen und hier so aufgeschrieben zu sehen. Wahrscheinlich ist die Frage hier auch etwas fehl am Platz und ich sollte mir eher nochmal therapeutische Unterstützung suchen. Aber habt ihr dazu vielleicht trotzdem irgendwelche Ideen oder Denkanstöße aus sexualtherapeutischer Sicht? Vielen Dank
Unsere Antwort
Deine Frage ist hier richtig.
Da du dich währenddessen sicher fühlst und keine Flashbacks erlebst, scheinst du deine Erlebnisse von damals sauber in der Vergangenheit abgelegt zu haben. Ein Rückschritt in deiner psychischen Entwicklung ist das auf Basis dessen, was ich hier lese, nicht. Viel mehr erscheinst du mir wie ein mutiger Mann, der sich trotz der gewaltvollen Vergangenheit traut, sich auf dieses genussvolle sexuelle Erleben einzulassen.
Ich lese in deiner Frage, dass ihr etwas entdeckt habt, was dich sehr erregt und sich sicher anfühlt. Du geniesst diese Art von Sex.
Du hast bereits entdeckt, dass es Parallelen und Unterschiede gibt zwischen damals und heute. Ich lade dich dazu ein, dir die Unterschiede zwischen deinen Erfahrungen damals und deinen Erfahrungen heute noch klarer vor Augen zu führen.
Du könntest es dir zum Beispiel aufschreiben. Trenne dabei durch eine Linie klar zwischen damals und heute. Was sind die Unterschiede zwischen der Gewalt durch den Vater und dem BDSM Szenario? Was passiert, wenn du deinen Partner bittest, aufzuhören? Was ist damals passiert? Welche Art der Fürsorge ist da? Welcher Rahmen ist da? Wie hast du dich damals gefühlt und wie fühlst du dich heute? Was fällt dir sonst noch ein?
Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass BDSM-Vorlieben durch traumatische Erfahrungen ausgelöst werden. Lange Zeit wurde BDSM pathologisiert, also für krank erklärt. Dabei kann es eine sichere und einvernehmliche Erfahrung für alle Beteiligten sein. Aufgrund der langen Pathologisierung, ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen, so wie du, sich fragen: "Bin ich normal, wenn ich auf BDSM stehe?" Die Antwort ist ja: BDSM-Vorlieben sind eine von vielen möglichen sexuellen Präferenzen.
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