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Frage Nr. 39615 von 30.03.2025

Ich beziehe mich auf die Frage Nr. 38001 von 13.03.2024. Vielen lieben Dank für eure Antwort! Ich habe einmal eine Abklärung zu einer PTBS gemacht. Die Symptome wie Schlafstörungen oder Rückzug habe ich nicht. Ich habe auch keine klassisches Trauma, wie beispielsweise einen Krieg erlebt.

Ich habe mehrfach Mobbing erlebt und bin in meiner Kindheit vermutlich häufig allein gelassen worden. Ich habe zudem sehr viel Stress erlebt. Ich bin und war damals teilweise nicht ganz da und habe heute mit Ängsten, gelegentlichen Panikattacken und wiederkehrenden Depressionen zu kämpfen. Die Erinnerungen sind teilweise weit weg. Ich habe Ängste vor spezifischen Situationen, ohne den Auslöser zu kennen. Was meinst du?

Unsere Antwort

Du schreibst von Kindheitserlebnissen, die belasten können. Mich würde als erstes interessieren, wie du dein Leben meisterst. Ich nehme an, du hast trotz dieser Erlebnisse einiges erreicht. Kannst du mir drei Dinge nennen, die dir gelungen sind und die dir an dir gefallen?

Wer unterstützt dich heute in deinem Leben? Hast du enge Freundschaften? Gibt es in deiner Verwandtschaft Menschen, die für dich da sind? Hast du Hobbies, die dir gut tun? Was interessiert und begeistert dich?

Wenn Menschen schlimmes erlebt haben, ist es umso wichtiger, das Leben aufzufüllen mit guten Dingen. Denn wenn du gut zu dir bist, hast du mehr Kraft und Ausdauer die Themen anzugehen, die dir aus der Vergangenheit noch nachhängen.

Deine Frage bezieht sich auf Trauma. Es gibt verschiedene Theorien zu Trauma. Einig ist man sich unter Expert*innen darüber, das es sinnvoll ist zwischen drei Dingen zu unterscheiden:

  1. traumatisches Ereignis
  2. traumatisches Erleben
  3. traumatische Verarbeitung

Ein traumatisches Ereignis kann für den einen das Verabreichen einer Spritze sein, für jemand anderen eine Naturkatastrophe oder Krieg. Es gibt auch traumatische Ereignisse, die als einzelnes Ereignis nicht so schlimm wären, aber weil sie sich sehr oft wiederholt haben, richten sie Schaden an. Das kann zum Beispiel heftiger Streit im Elternhaus sein oder abwertende Kommentare von Menschen, die dich eigentlich umsorgen sollen. Wichtig: Am Ereignis selbst kann man noch nicht festmachen, ob die Person, die es erlebt, ein Trauma entwickelt. Fällt ein Nicht-Schwimmer ins tiefe Wasser, ist das für die Person lebensbedrohlich. Fällt ein guter Schwimmer ins tiefe Wasser, ist es für ihn vermutlich ein Spass.

Das traumatische Erleben bedeutet, dass du im Moment des traumatischen Ereignisses das Gefühl hattest, das das Ereignis deine Kapazitäten übersteigt. Du hast zum Beispiel Angst, fühlst dich hilflos oder du fühlst gar nichts mehr.

Die traumatische Verarbeitung findet nach dem Ereignis statt. Viele verarbeiten traumatische Ereignisse gut, weil sie im Nachhinein genügend Ressourcen zur Verfügung haben, das Erlebte einzuordnen und zu einem Zustand der Sicherheit und Gelassenheit zurückzukehren. Das hängt unter anderem davon ab, ob es jemanden gab, der Trost gespendet hat und welche Möglichkeiten es gab, das Erleben zum Ausdruck zu bringen und sauber in der Vergangenheit abzulegen. Bei einer traumatischen Verarbeitung gelingt die Rückkehr zu Sicherheit und Gelassenheit nicht. Und das kann sich zum Beispiel darin äussern, dass manche Dinge, scheinbar aus dem nichts, starke Gefühle auslösen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass du mit deiner Vermutung richtig liegst, dass es bei dir eine traumatische Verarbeitung von Erlebnissen gab. Deshalb möchte ich dir noch ein paar mehr Informationen dazu geben, damit du dein Erleben damit abgleichen kannst.

Lies dazu bitte diese Definition von Paul Linden, die die Bezüge zum Körper und zum aktuellen Erleben verdeutlicht:

Der Körper reagiert auf jede Form von Stress, indem er sich zusammenzieht. Wenn Menschen sich bedroht oder herausgefordert fühlen, verengen sie typischerweise ihre Atmung, Haltung, Bewegung und Aufmerksamkeit, und das kann sechs verschiedene Formen annehmen. 1) Anspannen und Versteifen als Vorbereitung auf Kraft und Anstrengung 2) Anspannen und Verhärten im Zorn 3) Versteifen und Verengen in Angst 4) Zusammensinken und Erschlaffen in Niederlage und Resignation 5) Taubheit bestimmter Körperbereiche 6) allgemeiner Zustand der Dissoziation. Es können aber auch Elemente aus verschiedenen Bereichen kombiniert werden. Das Zusammenziehen des Körpers verringert die Leichtigkeit und Effektivität. Handeln in einem Zustand der Anspannung ist wie Autofahren mit angezogener Handbremse. Jede Art von Bewegung wird anstrengend, ineffizient und unbeholfen wenn der Atem und die Muskeln klein gemacht werden (ob angespannt oder schlaff) Darüber hinaus reduziert die Anspannung die Fähigkeit, flexibel zu denken, und beeinträchtigt die Fähigkeit, ruhig zu bleiben; und sie verringert die emotionale Sensibilität und das Einfühlungsvermögen.

Falls du Englisch kannst, kannst du das ausführlicher bei being-in-movement.com nachlesen. Es gibt auch einen ähnlichen Text zum Thema Trauma auf deutsch.

Du schreibst selbst, dass du dich fühlst und gefühlt hast, als wärst du nicht ganz da. Wie spürst du das in deinem Körper? Und wie fühlt sich Leichtigkeit in deinem Körper an? Du kannst zu einem Zustand der Leichtigkeit zurückfinden.

Aus der Erfahrung in der Beratungspraxis können wir sagen, dass die meisten unterschätzen, wie heftig es war, was sie in der Kindheit erlebt haben.

Nehmen wir an, du beobachtest ein anderes Kind, wie es das erlebt, was du damals erlebt hast. Was fühlst du? Fühlst du dann Mitgefühl? Es ist ein wichtiger Schritt, dass du Mitgefühl mit dir und deiner Geschichte entwickelst.

Schau mal, wie unsere Rückmeldung bei dir ankommt. Ich möchte dich auch darum bitten, nochmal unsere Antwort von damals zu lesen. Ich halte es weiterhin für sinnvoll, dass du dir therapeutische Unterstützung suchst, damit dein Leben wieder leichter wird.

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