Sexuelle Übergriffe und Gewalterlebnisse werden meistens erfolgreich verarbeitet. Dafür ist es notwendig, dass du dich irgendwann mit dem Erlebten auseinandersetzt, es verarbeitest und damit abschliessen kannst. Dabei kann dir eine Fachperson helfen.
Was ist ein Trauma?
Ein Trauma ist ein schwerwiegendes Ereignis, das die Verarbeitungsmöglichkeiten deines Gehirns übersteigert. Ob du ein Erlebnis allerdings als traumatisch erlebst, ist sehr persönlich. Für ein Baby kann eine Spritze traumatisch sein, für dich ist sie das vielleicht überhaupt nicht. Wenn ein dreijähriger Junge von der Mutter angeschrien wird, kann er das als traumatisch erleben. Als Teenager würde er das Geschrei der Mutter einfach nur lästig finden: Es ist immer das persönliche Erleben, das ausmacht, ob etwas traumatisch ist. Dabei ist typisch, dass du dich ohnmächtig, in grosser Angst, hilflos und verzweifelt fühlst oder innerlich "weggehst". Typisch ist auch, dass du dann wie gelähmt bist und nichts machen kannst – vielleicht in grosser Angststarre, oder vielleicht auch ganz schlaff.
Wie ist die traumatische Verarbeitung des Gehirns?
Wenn du etwas traumatisch erlebst, steigen bestimmte Funktionen in deinem Gehirn aus, und du verarbeitest Dinge, die passieren, anders. Sinneseindrücke (was du siehst, hörst, riechst, schmeckst, spürst, fühlst) werden ungefiltert aufgenommen und nicht sauber in dein Gedächtnis eingelagert. Das ist eine innere Abspaltung, die man auch Dissoziation nennt. Drum ist es für viele ganz schwer, sich an traumatische Ereignisse zu erinnern. Hingegen kommen diese Sinneseindrücke immer wieder hoch und werden nochmal durchlebt. Man nennt das Flashbacks. Bitte lies dazu diesen Text. Es kann auch sein, dass du Alpträume davon hast.
Sind sexuelle Übergriffe und Gewalt immer ein Trauma?
Gewalt und sexuelle Übergriffe können ganz unterschiedlich erlebt werden – ganz unabhängig davon, wie schlimm die Tat war. Angenommen, es gelingt dir, dich zu wehren. Oder du kannst nachher mit einer Person darüber reden und wirst ernstgenommen. Oder die Person, die dir Schaden zugefügt hat, zeigt echte, dauerhafte Reue und macht es nie wieder. All das kann helfen. Hingegen sind Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Verzweiflung, gekoppelt mit riesiger Angst und einem "Aussteigen" und "Abspalten" im Gehirn Risikofaktoren für ein traumatisches Erleben und Verarbeiten. Dazu gehört sehr oft auch, dass die Person mit niemandem darüber reden kann oder von niemandem ernst genommen wird in ihrer Not.
Was, wenn ich das Leben nicht mehr im Griff habe?
Wenn du etwas erlebst, womit du nicht fertig wirst, vermeidest du vielleicht jegliche Erinnerung daran. Und zugleich wirst du ständig mit Gedanken daran geplagt, die einfach so hochkommen. Vielleicht hast du Flashbacks. Möglicherweise träumst du auch davon. Es kann sein, dass du gereizt bist und dich nicht mehr konzentrieren kannst, schlecht schläfst und sehr schreckhaft bist. Möglicherweise ziehst du dich zurück und steigst innerlich aus. Es macht dir nichts mehr so richtig Spass, und du denkst auch nicht gern an die Zukunft. Es geht dir schlecht. Wende dich an eine Fachperson, damit sie dir helfen kann, wieder Spass am Leben zu bekommen.
Warum wird mein Verhalten komisch?
Es kann auch sein, dass du dich anders oder «komisch» verhältst. Manche fangen nach sexuellen Übergriffen an, sich mit Alkohol oder Drogen zu beruhigen. Andere essen äusserst kontrolliert – oder sie verlieren die Kontrolle beim Essen. Manche funktionieren jetzt besonders gut und halten sich zwanghaft an Regeln. Andere verletzen sich selbst. All diese Verhaltensweisen sind Notprogramme, die dir helfen, in dieser belastenden Situation mit schlimmen Gedanken, schlechten Gefühlen und grosser innerer Spannung umzugehen. Du kannst dich so beruhigen, so dass du zeitweise dein Leben unter Kontrolle hast. Ein Notprogramm ist aber nur für Notsituationen geeignet. Im normalen Leben behindert es. Irgendwann braucht man es nicht mehr. Doch weil es zur Gewohnheit geworden ist, kommt man nicht so leicht davon weg. Dann ist es besonders wichtig, wenn du dir Hilffe holst.
Wie verarbeite ich traumatische Ereignisse?
Wenn du ein schlimmes, traumatisches Erlebnis gehabt hast, ist es notwendig, dass du dich irgendwann damit auseinandersetzt, das Erlebte von allen Seiten noch mal anschaust, dir eine neue Meinung darüber bildest und es als Teil deiner Geschichte einordnest. So kannst du damit abschliessen und wieder in die Zukunft blicken. Viele fühlen sich dann sogar gestärkt und in mancher Hinsicht reifer als vor dem schlimmen Erlebnis. So eine Verarbeitung kann wenige Tage bis mehrere Jahre dauern. Für die Verarbeitung sind Gespräche sehr wichtig. Eine Fachperson kann dir dabei helfen, zum Beispiel ein*e Psychotherapeut*in. Du kannst dich auch an eine Opferhilfeberatungsstelle wenden. Das kannst du übrigens auch, wenn das traumatische Ereignis oder die traumatischen Ereignisse schon lange Zeit zurück liegen.