Wenn du dich von deiner familiären Vergangenheit emanzipieren möchtest, helfen dir einige Strategien. Wir empfehlen dir dabei auf jeden Fall auch fachliche Unterstützung.
Entwickle Mitgefühl für dich
Wenn du Probleme mit dir selbst oder auch mit anderen hast, ist es verständlich, dass du dich darüber nervst und lieber anders wärest. Aber deine Probleme hast du nicht grundlos. Hinter ihnen steckt eine Geschichte. Eine Logik. Lies dazu bitte auch diesen Text über kindliche Überlebensstrategien.
Du kommst mit dir erst weiter, wenn du Interesse für dich und deine Geschichte entwickelst. Nimm dich ernst und entwickle Mitgefühl für das Kind, was du warst. Das ist nicht leicht, denn du hast das möglicherweise weggesteckt. Fachliche Unterstützung ist hier hilfreich.
Entwickle Interesse für störende Erinnerungen
Viele Menschen, die in der Kindheit viel Stress und wenig Sicherheit erlebt haben, kommen von der Vergangenheit schlecht los. Das hängt daran, dass all die schlimmen Dinge, die passiert sind, als Eindrücke, Bilder und emotionale Zustände unsauber im Gedächtnis abgelegt sind. Sie kommen wieder hoch, wenn du in irgendwelchen Situationen bist, die sich irgendwie ähnlich anfühlen.
Das nennt man auch Flashbacks. Lies dazu bitte diesen Text. Dein Gehirn versteht nicht, was damals war und was heute. So unangenehm die Bilder und Zustände sind, die du dann erlebst, sie sind hilfreich, damit du verstehst, was passiert ist. Auch hier empfehlen wir fachliche Unterstützung.
Trenne Gegenwart und Vergangenheit
Es kann zum Beispiel sein, dass du in Liebesbeziehungen eine übermässige Angst hast, verlassen zu werden. Du klammerst an deine Partner*innen und verlierst jegliche Eigenständigkeit. Die Angst macht eigentlich keinen Sinn, denn du könntest ohne deine Partner*innen gut überleben.
Aber in Beziehungen erinnert sich dein Gehirn an die erste Beziehung – die zu deinen Eltern. Dort hattest du auch grosse Verlassenheitsängste. Wenn sie dich verlassen hätten, hättest du das nicht überlebt. Dein Gehirn vermischt in allen engen Beziehungen die Vergangenheit mit der Gegenwart.
Es ist wichtig, dass du "aufräumst", so dass dein Gehirn begreift, was heute ist und was damals war. Es gibt dazu verschiedene Techniken. Es ist einfacher, wenn du das in fachlicher Begleitung machst.
Erkenne, dass Eltern nicht immer gute Absichten haben
Menschen sind wie der Mond: Sie haben ihr Sonnenseite, und sie haben auch eine Schattenseite. Sie haben gute Absichten und sie haben böse Absichten. Sie meinen es nicht immer gut mit einander. Gerade wenn sie im Stress sind, sehen sie die anderen eher als Feinde. Dann benehmen sie sich allenfalls an der Oberfläche nett miteinander. Aber darunter denken sie böse übereinander. Das ist bei allen Menschen so, auch bei deinen Eltern.
Es ist wichtig, dass du das erkennst. Denn nur so machst du dir nichts vor, sondern erkennst unschöne Einstellungen und Motive besser – bei deinen Eltern, bei anderen Menschen und auch bei dir selbst. Du erkennst eher egoistische, manipulative und böswillige Absichten, und du kannst die anderen darauf ansprechen. Du kannst auch an dir selbst arbeiten: Statt Verhalten automatisch zu übernehmen, kannst du dich konfrontieren und ein besserer (Beziehungs-)Mensch werden.
Schau den Eltern in den Kopf
Wenn du deinen Eltern möglichst genau in den Kopf schaust, siehst du wahrscheinlich Dinge, die du nicht gern sehen möchtest. Angenommen, du hast deinem Vater widersprochen. Darauf hin bestrafte er dich mit tagelangem Schweigen. Als er dann endlich wieder auf dich zukam, warst du unendlich erleichtert. Du hast gelernt: "Papa sollte ich nicht widersprechen". Jetzt schau ihm mal in den Kopf und überleg dir, was seine Gedanken und Motive waren. Wie dachte er damals über dich? Sah er, wie es dir ging, als er dich bestrafte?
Klar sah dein Vater das. Er sah, dass er dich gequält hat. Er wollte dich durch diese Qual zum Schweigen bringen. Wenn er sich und dir gegenüber ehrlich gewesen wäre, hätte er gesagt: "Ich hab ein Problem damit, wenn du mir widersprichst. Das hat wohl mit meiner eigenen Unsicherheit zu tun". Aber so tickte er nicht. Er übernahm keine Verantwortung für sein Verhalten. Es war für ihn okay, dass er dich quälte.
Du siehst: Hinschauen ist oft nicht schön. Aber es hilft dir, mit verzerrten Idealbildern von deinen Eltern aufzuräumen und dich von ihnen zu emanzipieren.
Wenn du vor anspruchsvoller Lektüre nicht zurückscheust, könnte dich hierzu das Buch "Brain Talk" von David Schnarch interessieren.
Hol dir Hilfe
Alles, was wir dir hier vorschlagen, ist leichter gesagt als getan. Wir empfehlen dir auf jeden Fall fachliche Unterstützung. Warum das so hilfreich ist, erfährst du in diesem Text. Du könntest damit anfangen, dass du uns ein paar Gedanken oder Fragen ins Fragefenster stellst.
Um schwierige Themen und Erinnerungen durchzuarbeiten, empfehlen wir eine Psychotherapie oder Traumatherapie. Hier empfehlen wir dir, dass du dir mehrere Adressen heraussuchst, also dass du mehr als eine Person ausprobierst. Wähle eine Person, bei der du ein gutes Gefühl hast. Das ist wichtig, denn du möchtest ja Vertrauen zu dieser Person aufbauen. Du kannst dich bei der Suche auch an eine Beratungsstelle der Opferhilfe wenden. Du kannst dich auch an eine Online-Beratung wenden.