Gender | sexuelle Orientierung / Sexuelle Orientierung: hetero, schwul, lesbisch oder bi?:
Es ist nicht in Stein gemeisselt, ob du mehr auf Männer oder mehr auf Frauen stehst. Oder auf beide gleichermassen. Im Laufe deines Lebens kann sich das immer wieder verändern. Das ist von Mensch zu Mensch verschieden.
Sind nicht alle Menschen schwul, lesbisch oder hetero?
Nicht alle Menschen stehen ausschliesslich auf Männer oder Frauen. Einige fühlen sich gleich stark von Männern und Frauen angezogen, andere mögen Männer mehr als Frauen oder umgekehrt. Die sexuelle Orientierung ist nicht wie «schwarz oder weiss». Da gibt es viel dazwischen, weshalb strenges Schubladendenken nicht viel Sinn macht. Überleg mal, wie das bei dir ist. Vielleicht stehst du mal mehr, mal weniger auf Männer und/oder Frauen. Oder dir war schon immer klar, auf wen du mehr stehst und daran ändert sich bei dir nichts. Das ist bei jedem Menschen ein bisschen anders, wie er*sie das erlebt.
Die weltberühmten Kinsey-Reports
Der bekannte amerikanische Sexologe Alfred Kinsey wurde Mitte des letzten Jahrhunderts weltberühmt durch seine Umfragen (die sogenannten «Kinsey-Reports») bei mehr als zehntausend Frauen und Männern zu ihrem sexuellen Verhalten. Er erkannte durch seine Interviews schon damals, dass Menschen nicht einfach in zwei getrennte Gruppen gesteckt werden können. Es gibt nicht nur auf der einen Seite «hetero» und auf der anderen Seite «schwul» und «lesbisch», sondern es gibt auch viel dazwischen. Mittlerweile ist vielen Menschen auch klar, dass die sexuelle Orientierung nichts Starres ist.
Die Kinsey-Skala: Homosexuell, hetero und alles dazwischen
Kinsey entwickelte eine Skala, auf der du genauer angeben kannst, wer dich sexuell anzieht und erregt. Die Kinsey-Skala geht von 0 bis 6 und bezieht sich auf die sexuellen Erlebnisse, die du bisher gehabt hast. Unter «Erlebnis» fällt dabei alles, das sexuelle Erregung auslöst – also nicht nur sexuelle Handlungen, sondern auch Bilder oder Fantasien, die du von anderen hast. Genauso zählt darunter, wenn du jemanden berührst, küsst, schmeckst oder riechst und das geil findest. Ein sexuell erregendes Erlebnis kann ausserdem sein, wenn du dir einen Mann oder eine Frau auf eine Weise vorstellst, die dich geil macht.
- 0: Ausschliesslich heterosexuell
- 1: Vor allem heterosexuell, vereinzelt homosexuell
- 2: Vor allem heterosexuell, manchmal homosexuell
- 3: Gleich viel heterosexuell wie homosexuell
- 4: Vor allem homosexuell, manchmal heterosexuell
- 5: Vor allem homosexuell, vereinzelt heterosexuell
- 6: Ausschliesslich homosexuell
Wie viele Männer und Frauen haben sind auf der Skala keine 0?
Viele. Du kannst mal googlen, was da in verschiedenen Studien herauskam. Ganz klar ist: Viele Menschen, die eigentlich nur Sex mit Menschen des anderen Geschlechts haben wollen, können trotzdem auch mal Fantasien von Menschen ihres eigenen Geschlecht haben, oder sie in Pornos sexuell anziehend oder erregend erleben, oder von ihnen träumen. Wenn das bei dir so ist, dann geht es dir also wie der Mehrheit der Menschen. Eigentlich macht das auch Sinn: Wir haben ja selbst ein Geschlecht. Also eine Vulva und eine Vagina oder einen Penis. Wenn wir unser eigenes Geschlecht Sexy finden können, und wenn wir auch unseren eigenen Körper sexy finden können, warum sollen wir dann nicht auch das Geschlecht oder den Körper von anderen Menschen haben, die unsere Geschlechtsmerkmale haben? Es macht also Sinn, dass du als Frau auch Frauen sexy finden kannst und dass du als Mann auch Männer sexy finden kannst. Es kann deine Fantasien, deine sexuelle Erregung sehr bereichern.
Wie viele Männer und Frauen haben Sex mit Meschen ihres Geschlechts?
Aktuelle Studien berichten davon, dass zwischen 6 und 17 Prozent aller Menschen in ihrem Leben schon Sex mit anderen Menschen ihres Geschlechts hatten. 17 Prozent – das heisst so viel wie: Jede 6. Person hatte einmal Sex mit Menschen des gleichen Geschlechts. Das sind nicht nur Menschen, die sich als lesbisch, schwul oder bisexuell sehen. Das können auch Menschen sein, die sich als hetero seien. Denn es gibt ganz viele Gründe für Sex mit Menschen des eigenen Geschlechts: Sexuelle Anziehung, Neugier, Abenteuer, Lust auf Sex mit einem Menschen ungeachtet des Geschlechts, Lust auf Männlichkeit, Lust auf Weiblichkeit, emotionale Gründe und und und.
Warum ist die sexuelle Orientierung nicht in Stein gemeisselt?
Viele Menschen «wandern» im Verlauf ihres Lebens mehr oder weniger auf der Kinsey-Skala rauf und/oder runter. So vielleicht auch du. Das hängt zusammen mit deinen sexuellen Erfahrungen und Lernschritten, die du im Laufe deines Lebens machst. Deine sexuellen Erfahrungen und das, was du beim Sex erfährst und dazu lernst, verändert, wie du deine eigene Sexualität siehst und was du dir beim Sex wünschst. Das gibt dir ausserdem ein besseres Gefühl dafür, ob du dich schwul, lesbisch, bi oder queer nennen möchtest. Es kann sein, dass es bestimmte Sachen und Menschen gibt, die dich sexuell erregen. Oder du merkst mit der Zeit, dass dich bestimmte Sachen und Menschen sexuell erregen.
Wieso ist das Experimentieren in der Jugend so spannend und wichtig?
In der Jugend ist die Neugier und Lust auf sexuelle Erfahrungen besonders gross. Viele probieren dann auch sexuelle Handlungen mit anderen Menschen ihres Geschlechts aus. Wie ist das bei dir? Vielleicht findest du als Junge einen Jungen oder als Mädchen ein Mädchen richtig süss und toll. Du denkst daran, wie scharf du diese Person findest und dass du ihr gerne näherkommen. Du entwickelst also Lust darauf, dich mit anderen Jungen oder Mädchen in deinem Alter zu erregen und Erfahrungen zu sammeln. Diese Erfahrungen helfen dir, besser herauszufinden, wer oder was dich sexuell anzieht und erregt. Und du lernst dich im Umgang mit anderen auch selbst als Mann oder Frau besser kennen.
Hört das Experimentieren mit der Jugend auf?
Das Experimentieren muss nicht mit der Jugend aufhören. Im Gegenteil. Manche Männer und Frauen sammeln erst später mit 20, 40, 60 solche Erfahrungen und merken dann, dass sie jetzt mehr auf Männer oder Frauen stehen. Das kann zu jedem Alter passieren. Es kann auch sein, dass es erst mit über 70 passiert.