Wenn eine Freundin, ein Kollege oder ein Familienmitglied dir von sexueller Gewalt erzählt, die sie erlebt hat, hilfst du ihr oder ihm am besten, wenn du dich an einige einfache Verhaltensregeln hältst.
Schenke der Person deine Ohren
Reden kann für eine Person, die sexuelle Gewalt erlebt hat, sehr erleichternd sein. Sie oder er stellt das, was sie oder er erzählt, sozusagen aus sich heraus. Dadurch kann sie Abstand gewinnen und fühlt sich besser. Sie merkt durch das Erzählen aber auch, was sie oder er wirklich erlebt hat. Du hast zugehört und trägst die Last mit. Dadurch fühlt sich die Person nicht mehr so allein. Das Wichtigste ist also, dass du der Person deine Ohren schenkst. Lass sie merken, dass du ihr glaubst. Egal was für eine Geschichte dir erzählt wird, glaube sie. Damit hilfst du der Person, den eigenen Gefühlen und der eigenen Wahrnehmung wieder mehr zu vertrauen.
Sag der Person, dass sie oder er keine Schuld hat
Du solltest wissen: Schuld trägt immer die Person, die den Übergriff gemacht hat. Sie hat die sexuellen Rechte der anderen Person verletzt. Sätze wie «Was? Wieso hast du denn das gemacht?» oder «Das hätte ich nie gemacht!» oder «Aber du weisst doch, dass das gefährlich ist!» kann sie*er überhaupt nicht brauchen. Behandle sie*ihn mit Respekt und hilf mit, dass das Selbstwertgefühl nicht verloren geht. Menschen, die sexuelle Übergriffe erlebt haben, machen sich oft Vorwürfe und geben sich die Schuld daran, was geschehen ist. «Habe ich den Anderen ermutigt?» oder «Hätte ich nicht mit ihm flirten sollen?» können solch quälende Fragen sein. Darum ist es besonders wichtig, dass du der Person sagst, dass sie oder er nicht an dem Übergriff Schuld ist – egal wie sie oder er sich verhalten hat, als es passiert ist.
Gib keine ungefragten Ratschläge
Hilf mit, dass sie oder er so viel wie möglich selbst bestimmen und entscheiden kann, was weiterhin passiert. Darum solltest du nichts unternehmen, wovon die Person nichts weiss oder womit sie oder er nicht einverstanden ist. Menschen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, haben erfahren, dass gegen ihren Willen gehandelt wurde. Meistens sind sie danach sehr empfindlich, wenn ihnen Vorschriften gemacht werden. Gib darum nur Tipps, wenn du gefragt wirst. Am besten fragst du, was helfen könnte. Und denk dran: Du steckst nicht in ihren oder seinen Schuhen und weisst daher nicht, was wirklich das Beste für sie oder ihn ist.
Hilf der Person, sich zu schützen
Manchmal ist die Gefahr nach einem sexuellen Übergriff noch nicht vorüber. Wenn die Person bedroht oder verfolgt wird, ist es wichtig, dass sie geschützt wird. Wende dich an eine Opferhilfeberatungsstelle. Es gibt auch Schutzhäuser, falls die Person einen sicheren Ort braucht. Ruf in aktuellen Gefahrensituationen die Polizei.
Lass dir auch selbst helfen
Oft sind Angehörige, Freundinnen und Freunde überfordert damit, Personen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, zu unterstützen. Wenn jemand einen sexuellen Übergriff erlebt hat, wurden seine persönlichen Grenzen massiv und gewalttätig überschritten. Wenn er dir davon erzählt, kann das auch für dich schwierig sein. Du hilfst niemandem, wenn du so tust, als könntest du das einfach so wegstecken. Opferhilfeberatungsstellen sind auch für Angehörige und Freunde und Freundinnen da.
Ausserdem gibt es sicher spezielle Fragen, über die ihr alle nicht Bescheid wisst: Ist eine Strafanzeige gut oder nicht? Wie macht man das? Kann die Person allein mit den Folgen der sexuellen Gewalt fertig werden? Muss sie in eine Psychotherapie? Müssen die Eltern Bescheid wissen? In den Opferhilfeberatungsstellen arbeiten Fachleute, die diese Fragen beantworten können und viel Erfahrung mit den Folgen sexueller Übergriffe haben.
Verlier nicht den Kopf
Lauf nicht gleich zur Polizei. Es ist besser, du versuchst, möglichst ruhig zu bleiben. Nehmen wir an, du weisst nicht genau, ob die Person, bei der du sexuelle Gewalt vermutest, eine Straftat erlebt hat. Oder nehmen wir an, du weisst nicht, ob die Person mit einer Strafanzeige einverstanden ist. Wenn du nun zur Polizei gehst, kann das schlechte Folgen haben. Denn bei sexuellen Übergriffen handelt immer eine Person gegen den Willen einer anderen. Wenn jetzt einfach jemand Strafanzeige macht, wird wieder gegen den Willen dieser Person gehandelt. Das tut ihr nicht gut. Und wenn eine Person fälschlicherweise angeschuldigt wird, kann sie sich mit einer «Ehrverletzungsklage» dagegen wehren.
Und wenn sich die Person nicht helfen lassen möchte…
In diesem Fall solltest du dich auch an eine Opferhilfeberatungsstelle wenden. Die Berater*innen können dich beruhigen und unterstützen, und sie können die Situation beurteilen.