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Frage Nr. 39256 von 13.12.2024

Hallo Lili
Ich bin soeben 22 Jahre alt geworden.
Ich bin gerade etwas verwirrt und weiss nicht so recht, was ich machen kann, weshalb ich mich an dich wende. Ich merke, dass momentan Gefühle kommen, welche ich teilweise nicht einordnen kann. Teilweise merke ich auch, wie ich keine Ahnung habe, was ich mit ihnen machen kann und wie ich mit ihnen umgehen kann. Ich habe gemerkt, dass ich konflikscheu bin und lieber nichts sage und den Ärger nicht zum Ausdruck bringe. Ich habe mich dann gefragt, weshalb ich dies mache. Ich merke wie Angst ich habe, vor einem Konflikt. Ich spüre dies auch körperlich sofort.
Ich habe früher häufig Probleme mit der Wut gehabt. Als Kind und Jugendliche habe ich häufig meine Wut meinem Umfeld gezeigt. Ich wurde dann häufig aufs Zimmer geschickt oder mir wurde gesagt, es werde erst wieder mit mir gesprochen, wenn ich mich wieder beruhigt habe oder normal spreche. Ich glaube, mir fehlte ein gegenüber, welches mich reguliert hat. Ich habe mich danach unglaublich geschämt und schuldig gefühlt. Meine Mutter meinte häufig zu mir als Jugendliche, ich solle doch bitte nicht mehr so toben. Meine Eltern, so habe ich das Gefühl, konnten die Gefühlszustände vermutlich selber nicht halten. Meiner Mutter war schnell alles zu viel.Ich denke, so habe ich nie gelernt einen Konflikt auszutragen. Ich wurde nicht immer getröstet . Auch als es mir schlecht ging und ich viel geweint habe, meinte meine Mutter ich übertreibe. Teilweise, so habe ich den Eindruck, haben sie es nicht mal versucht zu verstehen und wollten das es einfach irgendwie funktioniert. Ich erhielt dann noch Vorwürfe oder Beschuldigungen. Ich habe noch heute Angst etwas zu machen oder mich gegen sie zu wehren. Ich komme mir so schwach vor, da ich es einfach nicht schaffe. Ich komme mir vor allem als Versagerin vor.Ich merke auch, wie ich dieses Muster habe und kann irgendwie trotzdem nichts machen, da mich die Angst irgendwie lähmt. Ich habe vermutlich Angst vor einem Liebesentzug. Ich denke bei andern Menschen würde es eher gehen. Ich denke es hat damit zu tun, dass ich, aus meiner Sicht, sehr stark bestraft wurde als Kind. Ich wurde beispielweise bestraft, als ich gestohlen habe. Ich habe mich dann sehr schuldig gefühlt und das Gefühl entwickelt, dass ich schlecht bin. Als meine Mutter für eine Freundin von mir ihr Lieblingsessen machte, wurde ich total eifersüchtig. Heute weiss ich, dass ich eifersüchtig war, da sie sich um sie gekümmert hat und nicht um mich. Ich fühlte mich übergangen und im Stich gelassen. Ich fühlte mich häufig so als Kind und total einsam und allein. Eine Erinnerung, welche dann immer auftaucht ist, dass ich alleine im Wartezimmer war für mehrer Stunden. Ich frage mich auch teilweise, wer ich wirklich bin und habe keine Ahnung. In mir ist da ein grosses Loch und eine Leere. Mir fallen dan bereits einfache Fragen schwer, geschweige denn allgemeine eigenständig und kritisch Denken. Es fühlt sich auch sicherer an nicht eigenständig zu denken/handeln. Teilweise habe ich auch eine Trauer und ein Schmerz und kann nicht einmal sagen weshalb. Neuerding spüre ich auch eine undefinierbare Wut. Ich bin auch sehr streng zu mir, häufig wütend auf mich selber oder richte die Wut innerlich gegen mich und mein Selbstwert ist niedrig. Ich habe eine toxische Beziehung hinter mir und Mobbing. Es gibt Tage, an denen es mir gut geht und andere, an denen ich am liebsten alles vergessen würde oder mein Leben tauschen würde. Ich würde dies alles so gerne ändern aber merke, wie ich immer wieder scheitere. Ich habe Angst, dass ich eine Persönlichkeitsstörung habe und diese Muster für immer mit mir herumtrage und mich nie daraus bewegen kann. Ich merke, wie ich darunter leide und es verändern möchte aber ich weiss nicht wie. Ich fühle mich irgendwie auch sehr alleine mit dieser Last und mit dem allen und habe das Gefühl niemand versteht das. Weisst du wo ich mir Hilfe suchen kann? Wie kann ich mir selber helfen? Wie kann ich lernen, mit diesen Gefühlen umzugehen?
Danke für deine Hilfe!
P.S: Ich lese es so durch und denke mir gleichzeitig, weshalb schaffe ich es erst jetzt darüber zu schreiben und alles in Worte zu fassen. Ich komme mir dumm vor, da ich lange keinen richtigen Zugang hatte und keine Muster erkennen konnte, welche andere vielleicht längst erkannt haben. Womit hängt das zusammen?

Unsere Antwort

Du beschreibst sehr eindrücklich, wie du mit deinen Gefühlen allein gelassen wurdest. Jetzt kommen sie und gehen, ohne mit dir in Beziehung zu sein. Und du gehst genauso unsicher und mit falscher Strenge mit den eigenen Gefühlen um, wie deine Eltern dir das beigebracht haben. Du übernimmst eigentlich viel zu viel Verantwortung für die falschen Methoden Anderer. Diesen Zusammenhang hast du bereits erkannt. Allerdings bestimmt die Angst zu viel, wenn du dich z.B. fragst ‚Habe ich wohl eine Persönlichkeitsstörung?‘.

Am Schluss deines Textes hast du dann gut erkannt, wie genau du deine Situation beschreiben kannst. Du siehst ganz differenziert, wie deine Gefühlswelt entstanden ist. Jetzt geht es darum, dass du dir Recht gibst. Alle deine Gefühle haben einen Sinn. Sie brauchen aber auch eine Antwort. Ein Kind, das unglücklich, wütend oder einfach quengelig ist, darf nicht eingesperrt oder weggeschickt werden. Es braucht eine Antwort, die ihm hilft, die eigenen Gefühle zu verstehen. Es braucht auch Hilfe bei der Regulation der eigenen Gefühle. Deine Eltern kannten wohl nur die Gefängnisstrafe (im Zimmer und allein) als Regulationsinstrument. Du hast sicher erlebt, dass sie mit ihren eigenen Gefühlen ähnlich umgehen. Sie sind in deinem jetzigen Lebensabschnitt keine guten Lehrer mehr. Du brauchst neue Anregungen und Anleitungen. Ich möchte dich sehr darin bestärken, dass du das, was du fühlst, ernst nimmst. Jedes Gefühl ist richtig. Aber jedes Gefühl braucht eine Antwort, die hilft, dass das Gefühl erträglich wird und die Verständnis ermöglicht. Du kannst das schon fühlen. Du kannst das auch gut beschreiben. Du hast noch nicht so viele Regulierungsinstrumente zu Hand. Da würde ich ansetzen. Entweder suchst du dir einen Psychotherapieplatz, wo du die Störungen, die deine Eltern in deiner Persönlichkeit hinterlassen haben, bearbeitest. Hilfreich könnten auch Selbsthilfebücher/Internetseiten etc. sein. Schau dich mal im Netz oder in Buchhandlungen um. Du wirst sehr viel Auswahl haben. Viele Menschen merken, dass sie ihre Gefühle selbst ‚erziehen‘ müssen. Du kannst auch Freund*innen, Kolleg*innen und Lehrer*innen suchen, mit denen du dich weiterbildest. Verachte dich nicht für die Lücken, die du findest. Füll die Lücken aus. Überlass ablehnende Gefühle bestrafendes Verhalten deinen Eltern. Lass dich von ihnen nicht mehr schwer verletzen.

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