Hallo, ich bin eine 35 Jahre alte cis-hetero-Frau.
Kann es einen Zusammenhang zwischen Orgasmusschwierigkeiten und Vaginismus geben? Ich habe beides. Den Vaginismus habe ich mit Dilatoren behoben, er kommt aber wieder wenn ich die Vagina für über ein Jahr nie penetriere. Eine Frauenärztin meinte mal, bei mir wäre eine Anspannung im Beckenboden, die man mit Physiotherapie beheben könnte. (Konnte das damals wegen schwerer Erkrankung nicht in Anspruch nehmen, zwischenzeitlich habe ich das nun erstmal mit Dilatoren behoben, denke also dass ich da kein Rezept bekäme).
Scham oder Angst in Bezug auf Sex habe ich eigentlich nicht, in Partnersexualität erreiche ich den Orgasmus etwas leichter (dauert aber trotzdem ca. ne Stunde, und auch nur bei ausschließlicher klitoraler Stimulation, wenn gleichzeitig penetriert wird keine Chance).
Allerdings begleitet mich ein Schamgefühl immer und überall. Beim Sex noch eher weniger als sonst, weil ich ja weiß, dass Männer sich freuen, wenn ich ihnen Sex "gebe".
Ich bin zwar traumatisiert wegen emotionaler und verbaler Gewalt in der Familie, allerdings keinerlei sexuelles Trauma. Wegen meiner Traumata bin ich in Therapie.
Ich habe viele eurer Artikel gelesen, außerdem Coming Soon, Come as You Are und kürzlich habe ich Becoming Orgasmic angefangen.
Ich mache seit einigen Monaten regelmäßig Yoga Nidra, zusätzlich seit ein paar Wochen Atemmeditation im Sitzen, übe die Beckenschaukel seit Herbst und habe vor ein paar Wochen begonnen mehrmals wöchentlich zu masturbieren. Das hatte ich früher nie gemacht, weil es mir zu frustrierend war sexuelle Spannung aufzubauen ohne entladen zu können bzw. ich keine Zeit dazu hatte weil es so lange dauert.
Mich macht das Thema sehr kirre. Allerdings hat "entspannt angehen lassen" und mir wegen Orgasmen keinen Druck zu machen auch nichts gebracht, das ist von ca 17 bis kürzlich meine Strategie gewesen...
Ich habe die Befürchtung, dass meine Versuche schneller und leichter zum Orgasmus zu kommen niemals fruchten werden. Und ich wünsche mir sehnlichst während Vaginalverkehr zum Orgasmus kommen zu können, allerdings spüre ich bei zusätzlicher klitoraler Stimulation noch weniger, selbst mit Vibrator.
Ich hab mich weiterhin mit dem Thema beschäftigt, und frage mich inwiefern Abstand zwischen Klitoris und Vagina eine Rolle spielen.
Hab versucht nachzumessen, und je nachdem wie ich am Gewebe ziehe, beträgt der Abstand 2,5 - 3 cm.
Laut der Statistik von Bonaparte liege ich damit ja im Bereich wo Orgasmus nicht möglich ist und befinde mich damit außerdem in der Minderheit.
Meine Mutter (derzeit kein Kontakt weil sie mir damals die Schuld an verbaler und psychischer Gewalt durch meinen Stiefvater gegeben hat - erst nachdem ich ausgezogen war und nicht mehr als sein "dankbarer" Blitzableiter zur Verfügung stand hat er seine leiblichen Kinder angefangen zu prügeln und meine Mutter hat ihren Fehler zugegeben) hat mir erzählt, dass sie bereits bei ihrem ersten Geschlechtsverkehr überhaupt zum Orgasmus gekommen ist.
Das zu wissen macht alles ehrlich gesagt noch schlimmer, sie hatte eh ein so viel leichteres Leben wie ich, und ist auch niemals Ziel der Gewalt und Aggressionen durch meinen Stiefvater gewesen...
Der Gedanke drängt sich mir während SB und GV auch öfters mal auf.
Ich schätze mal, meine Mutter hat da Glück mit dem Abstand und ich nicht.
Rational weiß ich, dass ich völlig übertrieben reagiere, und dass sich einiges vermische bei diesen Thema.
Hab auch mein Leben lang damit gehadert weiblich zu sein, und auch sehr lange geglaubt Frauen mögen Sex nicht besonders und es sei die Regel, dass Frauen auch bei Selbstbefriedigung kaum zum Orgasmus kommen können.
Gerade erscheint mir der Gedanke an eine Geschlechtsumwandlung verlockend, oder zumindest eine Labioplastie, um den Abstand zwischen Klitoris und Vagina zu verkürzen (mit dem Aussehen meiner Vulva bin ich eigentlich vollauf zufrieden, nur mit der Funktion hadere ich).
Bin allgemein auch nicht sehr glücklich mit meinem Körper, bin schon immer sehr unsportlich gewesen, hab diverse chronische körperliche Erkrankungen, unter anderem CFS, was mir unmöglich macht Sport zu treiben.
Ich habe vor einigen Jahren versucht die CFS durch Sport zu heilen, was mir mein Leben komplett zerstört hat, es hat Jahre gedauert bis ich nicht mehr vorwiegend bettlägerig war.
Ich hab auch versucht durch Bildung der Armut meiner Familie zu entkommen, was völlig fruchtlos geblieben ist, da ich wegen der CFS nun onehin nur sehr wenig Geld verdienen kann.
Daher habe ich große Angst, wieder meine Hoffnung reinzustecken durch Arbeit an mir selbst ein Problem zu lösen das mich sehr belastet, nur um wieder völlig zu scheitern wegen Faktoren auf die ich keinen Einfluss habe.
Unsere Antwort
Erst mal: Hut ab was du alles schon gemacht und erreicht hast. Trotz so widriger Umstände. Respekt! Deine Motivation ist bemerkenswert – und wird dir auch in deinem Anliegen wetierhelfen.
Dann: Orgasmusschwierigkeiten und Vaginismus sind grundsätzlich zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Beim einen geht es um sexuelle Erregung, beim anderen um Muskelspannung bei Angst. Es gibt aber doch einen Zusammenhang, wenn wir von vaginalen Orgasmen reden. Denn die grosse Mehrheit von Frauen mit Vaginismus haben ihre Vagina gar nicht bis sehr wenig entdeckt und dementsprechend auch nicht gelernt, sich durch vaginale Stimulation zu erregen.
Du hast dich viel schlau gemacht und gute Ressourcen für dich gefunden. Die Theorie über den Einfluss des Abstandes Klitoris-Vagina auf den Orgasmus beim Vaginalverkehr ist allerdings nicht ernstzunehmen. Denn der wichtigste Faktor wird nicht berücksichtigt (Wie hat eine Frau gelernt, sich sexuell zu erregen?), und zudem geht man davon aus, dass klitorale Stimulation für einen Orgasmus nötig sei. Es ist indes erwiesen, dass dem nicht so ist: Frauen, die querschnittgelämt sind, können über Klitorisstimulation keine sexuelle Erregung auslösen und bis zum Orgasmus steigern, denn die Nerven, die dazu nötig sind, laufen durch das Rückenmark. Sie können aber lernen, über vaginale Stimulation zum Orgasmus zu kommen. Denn die Reize laufen über den Vagus-Nerv zum Hirn, und der Vagus-Nerv läuft nicht übers Rückenmark. Lies dazu bitte unseren Text über klitorale und vaginale Orgasmen.
Also: Vergiss diese Theorie bitte. Auch du kannst lernen, einen Orgasmus beim Vaginalverkehr zu haben. Ich rate dir strengstens davon ab, dein Geschlecht zu verstümmeln. Mit CFS machst du körperlich genug durch. Das Trauma einer Operation gilt es wenn immer möglich zu vermeiden. Dass du dein Geschlecht eigentlich magst, ist eine Ressource. Darauf kannst du aufbauen. Wichtig zu wissen: Dein Geschlecht "funktioniert" völlig normal. Anders gesagt: Du bist, was deine Orgasmusfähigkeit angeht, völlig normal. Viele Frauen lernen zuerst, sich über Klitorisstimulation zum Orgasmus zu erregen. Diese Stimulation kann so spezifisch sein, dass es stört, gleichzeitig etwas in der Vagina zu haben. Du bist in guter Gesellschaft.
Wichtig ist, dass dir bewusst ist, dass du viel kannst: Du kannst einen Orgasmus erreichen, sogar mit einem Partner. Die "Sprache", die du gelernt hast, eignet sich einfach nicht für die Stimulation beim Vaginalverkehr. Ich werfe hier mal die Frage in den Raum, ob du deiner Mutter glauben kannst. Orgasmen beim ersten Mal sind für Frauen sehr selten. Es kommt hingegen verhältnismässig oft vor, dass Frauen lügen über Orgasmen beim ersten Mal. Wahrscheinlich, weil sie meinen, sie müssten einen Orgasmus haben. Und/oder weil sie ihren Partner nicht enttäuschen wollen, der an den Mythos glaubt, er sei zuständig für ihren Orgasmus.
Du schreibst von "die Vagina penetrieren" . Du schreibst nicht von "mit der Vagina etwas aufnehmen". Deine Vagina beschreibst du so als passiv. Was du aber eigentlich möchtest, ist sie zum Leben erwecken. Da ist die Beckenschaukel sehr hilfreich, denn eine bewegte Vagina ist eine besser durchblutete Vagina und wird so zur belebten Vagina. Ich würde dir empfehlen, dass du deine Vagina und das Leben, was in ihr verborgen ist, erforschst. Dazu empfehle ich dir diesen Text. Es geht darum, dass deine Vagina lernt, Spass an Berührungen zu bekommen. Ich glaube, bis jetzt hat sie ein bisschen hingehalten.
Das Ziel sollte jetzt nicht sein, dass du einen vaginalen Orgasmus hast, sondern dass die Vagina mehr vom Sex hat. Das hat sie, wenn ihre Nervenrezeptoren geschult sind, und wenn sie besser durchblutet ist. Denn mit dem Ziel des vaginalen Orgasmus frustrierst du dich nur. Mein Vorschlag ist: Erforsche, massiere und bewege deine Vagina für fünf Minuten, und danach belohne dich mit Stimulation der Klitoris. Oder: Bewege dein Becken ein paar Minuten bei der Stimulation der Klitoris, dann halte den Körper wieder still. Beim sexuellen Lernen ist die Verbindung aus Alt und Neu, von Vertraut und Unbekannt, von langweilig und lustvoll, sehr hilfreich. Mehr dazu erfährst du in diesem Text über das Üben beim Sex.
Wahrscheinlich weisst du, dass die Haltung des "entspannt angehen" genau die richtige war. Kein Orgasmus kommt gern in einer gestressten Situation. Kein Orgasmus ist gern ein Orgas-MUSS. Keine Vagina spürt gern auf Knopfdruck. Deine Themen sind Achtsamkeit und Akzeptanz. Akzeptanz dessen, was dein Körper dir bietet, Akzeptanz dessen, was ist. Schwierig sind das Verzweifeln und Sich-Dagegensträuben. Das führt in die Anspannung. Akzeptanz hingegen entspannt. Und in der Entspannung sind Neugier und Entwicklung möglich, ebenso wie Heilung.
Mit deiner CFS-Erfahrung weisst du: Aktzepanz ist leichter gesagt als getan. Aber es ist gut, wenn du jeden Augenblick, wo dir das besser gelingt, suchst. Ich finde da Achtsamkeitsmeditation wirklich eine gute Idee. Falls du Jon Kabat-Zinn noch nicht kennst, seine Bücher lohnen sich.
Mit deinen Themen denke ich, eine Beckenbodenphysiotherapie würde die Krankenkasse übernehmen. Ich fände das durchaus eine gute Idee, denn da würdest du deinen Beckenboden besser kennen lernen. Vielleicht möchtest du da mal mit der Psychotherapeutin drüber reden.
Schreib uns einfach wieder, wenn du weitere Fragen hast. Gib dann bitte die Nummer dieser Frage an.
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