Mein Freund hat mir gesagt, dass Orgasmen gesund sind. Stimmt das, sind Orgasmen irgendwie gesundheitsfördernd?
Also er meinte, dass Sex zu zweit wohl auch nochmal gesünder wäre, weil wohl mehr im Körper passieren würde. Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen wie das sein kann und sind SB und Paarsex für den Körper so unterschiedlich?
Ich habe mal gehört, dass Frauen, die ihren Körper besonders gut kennen, auch sexuell, im Vorteil sind, weil sie wohl ein besseres Gefühl im Allgemeinen für ihren Körper entwickeln. Weil sie dann Krankheiten zb früher merken, auch weil die Schulmedizin eher auf Männer abgestimmt ist. Also ist Sex irgendwie gesund, neben dem, dass es Spaß macht?
Unsere Antwort
Es wäre interessant, zu erfahren, wo dein Freund was genau gelesen hat. Vielleicht könntest du ihn da noch mal fragen.
Wissenschaftliche Studien rund um Sexualität sind immer mit Vorsicht zu genießen. Man muss genau schauen, was erfragt wurde oder gemessen wurde, und wie die Dinge definiert wurden. In Studien über Sexualität wird zum Beispiel in der Regel nicht erfragt, was die Menschen bei der Sexualität genau machen und wie sie ihren Körper einsetzen. Wir wissen aus klinischer Erfahrung, dass Menschen sich auf ganz unterschiedliche Weisen erregen können, und dass diese unterschiedlichen Weisen sich in einem ganz unterschiedlichen Erleben spiegeln können. Dann werden Begriffe wie sexuelle Erregung und Orgasmus zum Teil unterschiedlich definiert. Und schließlich messen die meisten Studien nur Zusammenhänge, und nicht Ursachen.
Was wir sagen können, ist, dass gemäß wissenschaftlichen Studien eine erfüllte Sexualität signifikant korreliert ist mit psychischer und körperlicher Gesundheit. Man liest über Zusammenhänge mit Blutdruck, Immunsystem, Durchblutung, Herzgesundheit, Schlaf und Selbstwertgefühl, und man liest über weniger Depressionen und Angstzustände, Schmerzen und erlebten Stress. Nicht umsonst ist die sexuelle Gesundheit Teil der allgemeinen Definition von Gesundheit, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgibt.
Interessant ist natürlich, warum das so ist. Zum einen ist Sex eine körperliche Aktivität und kann die Gesundheit genauso fördern wie zum Beispiel Sport. Zusätzlich können beim Sex oft auch emotionale Bedürfnisse erfüllt werden, wie beim Sport ja auch. Und dann werden auch Hormone wie Oxytocin, Serotonin und Dopamin ausgeschüttet, die für die körperliche und mentale Gesundheit gut sein können.
Trotzdem finde ich es verkürzt, zu sagen, dass Sex gesund ist, genauso wie es verkürzt ist, zu sagen, dass Sport gesund ist. Sport kann gesund sein. Und Sex kann gesund sein. Entscheidend ist, was ich mache, und wie es mir dabei geht: Sex kann sehr schön sein und sehr schlimm. Wenn sich der Sex gut anfühlt, dann ist das sicher auch gut für dich. Für das brauchst du keine Studien, das spürst du selbst.
Es gibt die Meinung, dass die gesundheitsfördernden Eigenschaften bei der Selbstbefriedigung nicht so stark sind wie in der Paarsexualität. Das erklärt man damit, dass Menschen soziale Wesen sind und in der Intimität zu zweit Bedürfnisse anders erfüllt werden können als allein, was sich wiederum im Körper in der Hormonausschüttung spiegelt. Wir sind sehr kritisch gegenüber dieser Meinung. Stell dir vor, du hast so richtig genussvollen Solosex und schwelgst dabei in Fantasien, in denen du auch emotionale Bedürfnisse auslebst. Dann ist es gut möglich, dass ganz ähnliche Hormone ausgeschüttet werden wie in der Paarsexualität mit einer Person, die du liebst.
Derartige Nuancen haben bis jetzt noch keine Studien erforscht. Viele Menschen machen nicht besonders liebevolle Selbstbefriedigung, sondern sie stimulieren sich eher effizient zu einer Entladung. Und es ist nun einfach ein riesiger Unterschied, ob eine Frau 5 Minuten lang still und eher angespannt daliegt und ihre Klitoris reibt, oder ob sie ausgedehnt streichelt, küsst, Oralsex hat und dann Vaginalverkehr. Freilich erlebt sie dann in der Paarsexualität viel Intensiveres, sowohl körperlich als auch emotional. Aber wenn sie bei der Selbstbefriedigung ihren ganzen Körper streicheln, sich bewegt, Klitoris und Vagina und Brüste stimuliert, dann hat sie natürlich ein viel intensiveres Körpererleben. Umgekehrt liegt sie in der Paarexualität vielleicht sehr passiv da und erlebt nicht so viel.
Egal ob Selbstbefriedigung oder Paarsexualität: Man muss von Fall zu Fall genauer anschauen, was die Person macht und was sie dabei erlebt. Und das machen all die Studien nicht. Wenn eine Person sich zum Beispiel in sehr hoher Anspannung sexuell erregt, kann das unter Umständen mit unangenehmen Gefühlen und Stress einhergehen. Es kann auch mit Schmerzen einhergehen. Und mit weniger Gefühl für das, was im Körper abläuft. Wenn sich eine Person hingegen locker bewegt erregt, ist die Durchblutung besser, die Gefühle sind angenehmer, der emotionale Zustand positiver.
Wir wissen aus klinischer Erfahrung, dass in der Selbstbefriedigung ein Potenzial liegt, das viele Menschen noch viel besser ausschöpfen können. Wir können lernen, die Selbstbefriedigung zur Selbstliebe zu machen und unserem Körper und unserer Psyche etwas sehr Gutes geben. Das ist ähnlich wie allein ausgelassen tanzen oder Yoga machen oder Spaß haben beim Schwimmen oder Singen – all diese Dinge, bei denen es uns mit uns selbst sehr gut geht, und wo wir eine sehr gute Beziehung zu unserem eigenen Körper und zu uns selbst haben.
Überlege mal, wie das bei dir ist. Möglicherweise erlebst du nämlich die Selbstbefriedigung sehr intensiv, lustvoll, genussvoll, angenehm, befriedigend, emotional entspannt. Wenn sich etwas auf diese Art und Weise körperlich und seelisch gut anfühlt, braucht es keine Studien, um zu verstehen, dass es auch gut für dich ist. Dein Körper und deine Stimmung zeigen dir, dass es gut ist für dich. Und es ist sehr gut möglich, dass du die Paarsexualität nicht so positiv erlebst. Das ist gar nicht so selten: Paarsexualität kann mit viel Stress einhergehen, mit Anstrengung, mit schwierigen Emotionen, mit Leistungsdruck und so weiter. Manchmal wird Sex als ein richtiger Hochleistungssport betrieben, und das kann sehr anstrengend sein. Das ist nicht unbedingt gesund. Gerade bei Leuten, die älter sind, oder krank, ist es wichtig, dass der Sex locker abläuft und ein Gewicht auf Genuss gelegt wird.
Bei einem Orgasmus werden bestimmte Stoffe ausgeschüttet, die auch gut sind für Körper und Psyche, zum Beispiel Oxytocin. Zusätzlich kommt die Entspannung danach, die von vielen Menschen als sehr positiv erlebt wird. Es gibt aber kaum Studien, die unterschiedliche Orgasmen vergleichen. Und wenn sie dies tun, dann zeigt sich, dass Orgasmus nicht gleich Orgasmus ist. Egal ob Selbstbefriedigung oder Paarsexualität, entscheidend ist: Mit wie viel Lustgefühl ist ein Orgasmus verbunden, wird er lokal oder als Ganzkörpererlebnis erlebt, geht er mit einer emotionalen Entladung einher, wie ist das emotionale Erleben dabei, und so weiter. Es kann auch sein, dass eine Person nach der Entladung in ein seelisches Tief fällt. Wieder eine andere Personen macht sich nachher ein schlechtes Gewissen. All diese Faktoren beeinflussen, wie „gesund“ die sexuelle Erregung bis zum Orgasmus ist.
Ob du einen Orgasmus beim Sex hast oder nicht, spielt möglicherweise gar nicht so eine große Rolle. Es kann sein, dass du den Sex sehr genießt und nicht zu einer Entladung kommst. Trotzdem erlebt dein Körper etwas sehr Angenehmes, deine Psyche auch, wie bei Wellness, oder einer Massage. Und das ist gut für die Gesundheit.
Und ja, den eigenen Körper gut zu kennen, ist auf jeden Fall ein Vorteil. Zum einen, weil du dann, wie du richtig schreibst, eher merkst, wenn etwas nicht stimmt. Wer seinen Körper gut kennt, schätzt ihn meistens auch mehr wert und kümmert sich besser um ihn. Das ist für Menschen aller Geschlechter hilfreich. Die medizinische Forschung hat sich vielleicht lange großteils auf Männer fokussiert, aber Männer hören oft nicht so genau auf ihren Körper und gehen nicht zum Arzt, wenn sie sollten. Egal welches Geschlecht: Wer investiert in eine lustvolle Sexualität, zu zweit und/oder allein, tut sich also selbst etwas Gutes.
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