Liebes Lilli-Team
Ich bin weiblich und 39 Jahre alt. Bei schneller Penetration beim Sex, oder je nach dem auch je nach Winkel, habe ich das sehr unangenehme Gefühl, dringend auf Toilette zu müssen. Man hat mir schon gesagt, dass das bis zu einem gewissen Grad normal ist und dass ich mich einfach entspannen soll, aber das funktioniert nicht. Ich empfinde es als so unangenehm und das Ziehen als schmerzhaft, so dass ich abbrechen muss.
Ich frage mich, ob das eventuell damit zu tun hat, dass ich sehr oft unter Blasenentzündungen gelitten habe., oft auch nach dem Sex, obwohl ich versuche, mich an alle möglichen präventive Massnahmen zu halten (duschen vor dem Sex, auf Toilette nach dem Sex, Untersuchungen zu Geschlechtskrankheiten, die Blasenentzündungen auslösen können, Cranberrys etc.).
Die Empfindung beim Sex fühlt sich so an, wie wenn ich eine schlimme Blasenentzündung hätte, deswegen empfinde ich sie als so unangenehm.
Könnt ihr mir sagen, woher das kommt? Habe ich einfach eine sehr empfindliche Blase? Und ob es etwas gibt, was ich dagegen machen kann (da es mich stört, den Sex nicht voll und entspannt geniessen zu können)?
Herzlichen Dank!
Unsere Antwort
Der Rat, "einfach zu entspannen", ist zwar gut gemeint, aber in der Regel überhaupt nicht hilfreich. Als ob Entspannung so einfach ginge. Ich kenne keinen Menschen mit Schmerzen, der das einfach so kann.
So wie ich dich verstehe, hast du derzeit keine Blasenentzündungen mehr, richtig? Dann vermute ich, dass das Problem mit sexuellen Lernen und mit dem Schmerzgedächtnis zusammenhängt.
Zum Schmerzgedächtnis: Unser Gehirn nimmt normalerweise alles mal ganz offen auf, was wir an Nervenstimulationen (zum Beispiel Streicheln oder Drücken) erfahren. Es bewertet es dann, und du erlebst es in der Folge in einer ganz bestimmten Qualität (zum Beispiel angenehm oder unangenehm). Das ganze passiert in Bruchteilen von Sekunden. Wenn du nun in einer Region viele Schmerzen erlebt hast, ist dieser Ablauf verkürzt: Alle Nervenstimulationen in dieser Region werden vom Gehirn nicht neu bewertet, sondern ganz automatisch der Kategorie "Schmerz" zugewiesen.
Zum sexuellen Lernen: Die Vorderwand der Vagina ist nahe an der Harnröhre (du siehst das auf dem Bild unten). Stimulationen dort können sich grundsätzlich erst mal ähnlich wie Harndrang anfühlen. Erst die häufige, aufmerksame sexuelle Stimulation dieser Region hilft dem Gehirn, die Nuancen zu unterscheiden und die verschiedenen Stimulationen besser zu unterscheiden.
Das heisst: Zum einen hat dein Gehirn noch nicht gelernt Vagina von Harnröhre zu unterscheiden, zum anderen verbindet es alles, was in dieser Körperregion an Stimulation passiert, mit Schmerz. Das ist zumindest meine Vermutung.
Die gute Nachricht ist: Du kannst deinem Gehirn beibringen, die Nervenstimulation beim Vaginalverkehr besser zu differenzieren und neu zu bewerten.
Das braucht Übung. Du könntest zum Beispiel folgendermassen vorgehen:
- Mach unsere Wahrnehmungsübungen zum Erforschen der Vagina. Hier ist es besonders wichtig, dass du offen und aufmerksam für jegliche Wahrnehmung bist. Wenn es brennt oder etwas schmerzvoll ist, akzeptiere diese Wahrnehmung. Bleib mit dem Finger ruhig dort, atme in die Gegend hinein. Nur wenn der Schmerz stark ist, solltest du die Berührung vermeiden. Bei eher leichten Schmerzen ist es aber die Anspannung, die den Schmerz schlimmer macht. Verlangsamung und Atmen hilft gegen Anspannung. Nimm Mandelöl oder ein anderes angenehmes Öl, so dass die Finger gut rutschen. Probier auch mal bewusst, einen leichten Schmerz auszulösen, damit du besser verstehst, was genau dein Gehirn mit Schmerzen verbindet.
- Achte darauf, welche Berührungen nicht schmerzhaft sind. Kennst du angenehme Berührungen in der Vagina? Wo genau? Gelingt es dir schon, dich über vaginale Stimulation zu erregen? Das könntest du auch üben. Je mehr Nervenimpulse dein Gehirn bekommt aus Regionen, die benachbart sind mit der Schmerzregion, und die es als angenehm oder erregend bewerten kann, desto eher "schwappen" diese Wahrnehmungen über in die Schmerzregion.
- Nimm über Beckenbodenübungen und Atemübungen Kontakt auf mit deiner Beckenbodenmuskulatur und lerne sie bewusst zu beatmen, wahrzunehmen und zu beeinflussen.
- Übe die Beckenschaukel und ganz grundsätzlich Bewegungen mit deinem Becken. Bewegen ist ein gutes Mittel gegen zu hohe Anspannung.
- Übernimm das Szepter beim Sex. Du könntest dir angewöhnen, nicht von der Penetration zu reden, sondern vom Aufnehmen. Du und deine Vagina geben also den Winkel und das Tempo an, in denen sie den Penis aufnehmen. Du kannst das auch mit deinem Finger in der Vagina üben.
- Sprich mit deinem Partner. Er sollte im Bilde sein über dein Problem und darüber, was du tun möchtest, um es zu lösen.
Schau mal, was du mit diesen Tipps anfangen kannst. Ich habe dir hier grob zusammengefasst, was ich auch einer Klientin in der Sexualtherapie empfehlen würde. Ich schlage dir vor, dass du das mal probierst, und dich wieder bei uns meldest wenn du weitere Fragen hast oder irgendwo anstehst. Gib dann bitte die Nummer dieser Frage an.
Zur Beckenschaukel haben wir übrigens auch Videos:
Schau dir mehr Antworten und Infotexte an zum Thema