Liebes Lilliteam,
ihr erklärt, dass es einen Zusammenhang zwischen sexuelle Fantasien und dem Einsatz des Körpers bei sexueller Erregung gibt. Ich habe auch bei euch gelesen, dass hetero- und homosexuelle Neigungen keine klare Trennung kennen, sondern eher ein Kontinuum darstellen.
Dadurch frage ich mich, ob Pädophilie auch ein solches Kontinuum ist und Täter, solche Taten begehen, weil sie gewalttätige Fantasien haben, die sie erregend finden? Könnten solche Täter lernen Gewalt nicht erregend zu finden, wenn sie ihren Körper bei sexueller Erregung anders einsetzen? Warum gibt es auch Menschen, die nur solche Fantasien haben, aber trotzdem niemanden missbrauchen?
Unsere Antwort
Du stellst eine interessante Frage – die alles andere als einfach zu beantworten ist. Vor allem, weil man nicht pauschalisieren kann – und ja nicht sollte.
Zunächst mal: Bitte unterscheide hetero- und homosexuelle Orientierung klar von Pädophilie. Das wäre sonst so, wie wenn du Äpfel und Fahrräder vergleichst. Sexuelle Orientierung kann vorgeburtlich schon angelegt sein. Das gibt es bei Pädophilie nicht. Daher spreche ich in dieser Antwort nur von Pädophilie, nicht von sexueller Orientierung.
Du machst einen richtigen Gedanken, wenn du dich fragst, ob man lernen kann, sexuelle Fantasien und Wünsche zu verändern. In der Sexualtherapie reden wir allerdings nicht von Veränderung, sondern von Erweiterung. In unserer Erfahrung kann man eine sexuelle Fantasie oder Vorliebe nicht wegmachen – aber man kann sie unwichtiger machen, weil anderes sexuell interessanter wird. Ich beziehe mich hier auf Sexualtherapie nach Ansatz des Sexocorporel, der auf Lilli vertreten wird.
Bei Pädophilie haben Menschen sexuelle Fantasien, in denen Kinder eine Rolle spielen. Wie es zu solchen Fantasien kommen kann, wird in diesem Text über sexuelle Fantasien erklärt. In diesen Fantasien kann Gewalt vorkommen, das muss sie aber nicht. Die grosse Mehrheit von Menschen mit derartigen Fantasien würden sie nie in die Tat umsetzen. In sexuellen Fantasien ist so gesehen alles erlaubt. Das Problem für andere entsteht daher nicht mit den Fantasien selbst, sondern mit der Tatsache, dass manche Menschen sie in die Tat umsetzen (wollen). Das macht sie zu (potentiellen) Täter*innen.
Warum begehen Menschen pädosexuelle Straftaten? Hier kommen persönliche Themen dazu, die mit sexuellen Fantasien nichts zu tun haben. Die Frage ist es: Was braucht es, damit ein Mensch bereit ist, moralische, ethische, prosoziale Gedanken und Motive auszublenden, die ihn*sie davon abhalten würden, sexuelle Übergriffe zu machen und Kinder damit zu quälen? Die einen Täter*innen müssen dafür mehr Aufwand leisten und haben rund um ihre Taten mehr Skrupel als die anderen. Erstere suchen schneller therapeutische Unterstützung auf als letztere.
Freilich kommen auch Menschen in die Therapie, die sich Sorgen machen wegen ihren sexuellen Fantasien, auch wenn sie sie nie umsetzen möchten. Ihr Leidensdruck entsteht, wenn sie ein Problem mit ihren ethischen und moralischen Vorstellungen und mit ihrem Selbstbild haben. Oder wenn die Fantasien so wichtig werden, dass die Paarsexualität darunter leidet, weil keine richtige Begegnung mehr möglich ist.
In der sexualtherapeutischen Arbeit nach Sexocorporel rund um das Thema Pädophilie lernen Klient*innen, das Spektrum dessen zu erweitern, was sie anziehend und erregend finden. Ausserem verhilft die Therapie den Klient*innen, ein besseres Gespür und eine grössere Selbstsicherheit in ihrem sexuellen Körper zu finden. So trauen sie sich jauch erwachsene Menschen als gleichberechtigte Sexualpartner zu und finden sie attraktiver und erregender.
Zentral ist tatsächlich die Arbeit an der Erregungstechnik: Ziel ist eine bewegte Technik, die den ganzen Körper einschliesst und geniessen lässt. Dies ist auch zentral, wenn eine Person Fantasien hat, in denen Gewalt eine Rolle spielt. Es ist ebenfalls wichtig, wenn die Person ein dranghaftes sexuelles Verhalten hat (z.B. dranghaften Pornokonsum).
Wenn eine Person pädosexuelle Straftaten begeht oder begehen möchte, reicht die Sexualtherapie aber nicht. Hier ist Psychotherapie/Täter*innenarbeit wichtig bei Fachpersonen, die dafür eine spezielle Ausbildung gemacht haben. Es geht darum, dass Täter*innen sich kritisch mit ihren Gedanken auseinandersetzen, die es ermöglichen, dass sie Kinder quälen. Es geht darum, dass sie alternative Denk- und Handelsformen lernen und üben. Und schliesslich geht es darum, dass sie ihren Sadismus erkennen und begreifen, und dass sie lernen, prosoziale Empathie für andere Menschen zu entwickeln (und letztendlich auch für sich selbst).
Und dann gibt es auch noch Erwachsene, die sexuelle Übergriffe an Kindern und Jugendlichen machen, ohne dass pädophile Wünsche oder Fantasien für ihre sexuelle Erregung eine Rolle spielt. Wir gehen davon aus, dass das bei sexueller Ausbeutung innerhalb der Familie mehrheitlich so ist. Hier spielen brutale und perfide persönliche und Beziehungs-Motive eine Rolle. Mehr dazu erfährst du in diesem Text. Die Sexualität ist Mittel zum Zweck. Hier ist die Täter*innenarbeit auch zentral.
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