Ihr habt ja einen Text dazu, dass Gewalt innerhalb der Familie besonders schlimm sein kann. Ich finde es schwierig zu verstehen: Die Person war nicht nur böse oder „schlecht“, sondern hatte auch eine liebevolle und fürsorgliche Seite. Wenn Schwieriges passiert, habe ich oft danach das Gefühl, vielleicht ist es gar nicht passiert, weil es fühlt sich so „nicht real“ an und die Erinnerungen so schwer greifbar. Dazu kommt eben diese Verwirrung, dass es auch Gutes gab. Ich finde es schwer, das Bild eines Elternteils mit dem Inhalt der Erinnerungen (sexuelle Handlungen) zusammenzubringen. Ich fühle mich verrückt, ekelhaft und abstossend, dass ich überhaupt solche Dinge in meinem Kopf habe. Wie geht man mit so etwas um?
Wie kann ich das hinter mir lassen/ überwinden, wenn zwischendurch immer wieder Zweifel an der eigenen Wahrnehmung aufkommen? Das Wegschieben hat die ganzen „Symptome“ nämlich nicht weggemacht, aber ich weiss nicht, ob ich stark genug bin, dieses Thema aufzumachen und voll zuzulassen. (Weiblich, 25)
Unsere Antwort
Du beziehst dich auf diesen Text. Du schreibst, du findest das schwierig zu verstehen, dass Gewalt in der Familie besonders schlimm ist, weil die Person nicht nur böse oder "schlecht" war, sondern auch eine liebevolle und fürsorgliche Seite zeigte. Aber darin liegt ja genau das Schlimme: Dadurch wird das Kind in eine totale Verwirrung gestürzt, weil das Gehirn zwei derart unterschiedliche Seiten einfach nicht unter einen Hut bringen kann. Hinzu kommt, dass das Kind von den Eltern auf Gedeih und Verderb abhängig ist. Es muss alles tun, um die Eltern in einem Licht zu zeichnen, wo sie gut sind. Denn die Bindung zu den Eltern ist lebensnotwendig. Das Kind kann nicht einfach davonrennen. Ganz oft passiert dann, was du beschreibst: Das Kind nimmt sich nicht ernst und wertet seine eigene Erfahrung ab. Es sieht die Eltern als gut und sich selbst als schlecht.
Deine Chance als Erwachsene liegt darin, dass dein Überleben nicht mehr von den Eltern abhängig ist. Du kannst es dir leisten, dich von ihnen abzulösen und zu emanzipieren. Das kindliche Gefühl schwingt aber noch sehr stark mit. Das hängt damit zusammen, dass du das, was du erlebt hast, nicht sauber in deinem Gedächtnis abgelegt hast. Bitte lies dazu diesen Text. Und daher hast du immer noch dieses kindliche Erleben, das den Eltern gegenüber sehr loyal ist. Du nimmst dich und deine Erfahrung nach wie vor nicht ernst und glaubst deiner Erinnerung nicht. Du wertest dein eigenes Erleben ab, du machst dich selbst schlecht für deine Erinnerung.
Frag dich, was dir wichtiger ist: dein Leben und dein Glück, oder das Leben und Glück deiner Eltern. Der Schritt in die Emanzipation ist, wie du selbst sehr gut spürst, schwierig. Es ist ein anspruchsvoller Prozess, Autonomie, Mitgefühl und Fürsorge für sich selbst zu entwickeln. Vielleicht interessiert dich dazu dieser Text. Ich würde dir da unbedingt fachliche Begleitung durch eine Traumatherapeutin empfehlen. Erfahrene Traumatherapeutinnen arbeiten sorgfältig und legen grossen Wert auf Stabilisierung, d.h. du lernst Techniken, wie du dich selbst beruhigen kannst und mit schwierigen Gedanken und Bildern besser umgehen kannst.
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