Ich und die anderen / Wie komme ich mit mir und anderen besser klar?:
Wut, Angst, Trauer, Scham, Ekel: Jeder Mensch kennt unangenehme Gefühle. Du wehrst sie vielleicht ab, verdrängst sie, überspielst sie oder spaltest sie ab. Wir erklären dir, warum dich das nicht weiterbringt, und wie du Gefühle besser zulassen kannst.
Warum sollte ich unangenehme Gefühle zulassen?
Gefühle sind menschlich. Sie sind wichtige Wegweiser. Sie zeigen uns, wie es uns geht und was wir wollen und brauchen. Angst, Wut, Scham, Ekel, Traurigkeit, Einsamkeit, Verzweiflung: Solche unangenehmen Gefühlszustände zeigen uns, dass etwas nicht stimmt, und dass wir etwas tun sollten, um unsere Lage zu verbessern. Wenn du diese Gefühle nicht zulässt und abwertest, nimmst du dich nicht ernst. Du sorgst nicht gut für dich. Du lernst auch nicht, mit ihnen klar zu kommen. Sondern du bist ihnen ausgesetzt, wenn sie sich immer wieder melden. Du lernst auch nicht so gut, mit anderen Menschen und ihren Gefühlen umzugehen.
Es ist also sehr wichtig, dass du sie zulässt und ernst nimmst. So lernst du, mit ihnen klar zu kommen. Du kommst dadurch mit dir besser klar, und auch mit anderen Menschen. Du spürst dann besser, was für Gefühlszustände sie haben. Das hilft dir im Umgang mit ihnen. Man nennt das auch "emotionale Intelligenz" – das ist die Fähigkeit, Gefühle zu lesen, zu verstehen und damit umzugehen. Dadurch steigt auch das, was man Sozialkompetenz nennt: die Fähigkeit, dich mit unterschiedlichsten Menschen so zu verhalten, dass du und die anderen sich dabei möglichst wohl fühlen.
Sind die Gefühle nicht Schuld?
Egal was du fühlst – wenn du Probleme kriegst, kriegst du die wegen deinem Verhalten: Wenn du aus Wut immer gleich dreinschlägst, ist das Problem nicht, dass du wütend bist, sondern dass du drein schlägst. Wenn du dich aus Schamgefühlen nie unter Leute gehst, ist das Problem nicht, dass du dich schämst, sondern dass du zuhause bleibst. Wenn du aus Angst eine Person nicht ansprichst, ist das Problem nicht, dass du Angst hast, sondern dass du die Person nicht ansprichst.
Babys sind ihren Gefühlen ausgesetzt. Aber ab dem Alter von 4-5 entwickelt unser Gehirn die Fähigkeit, unabhängig von Gefühlen zu handeln. Wir können Dinge tun, auch wenn uns nicht danach ist. Entscheidend ist dabei, dass wir üben, unsere Gefühle in Griff zu bekommen.
Wann ist Wut gut, wann nicht?
Viele Menschen nehmen ihre Wut oder Aggression nicht ernst oder wollen sie nicht zeigen, weil sie ihnen Angst machen, oder weil sie befürchten, dann abgelehnt zu werden. Aggression hat aber eine gute Seite: Es ist eine Kraft, die dir hilft, mutig Dinge zu tun und zu sagen. Sie hilft dir, bei schwierigen Aufgaben dranzubleiben und durchzuhalten. Sie hilft dir, hart zu arbeiten. Sie hilft dir, dich für etwas einzusetzen, was dir wichtig ist. Sie hilft dir auch, für dich selbst einzustehen und anderen zu sagen, was du willst und was nicht.
Wut kann auch zerstörerisch werden. Das ist oft ein Zeichen davon, dass man Gefühle nicht zugelassen hat. Wenn du nur Wut empfindest, kann das daran liegen, dass du andere Gefühle nicht zulässt. Vielleicht fällt es dir schwer, Gefühlszustände zu spüren und zu zeigen, bei denen du dich eher schwach fühlst – zum Beispiel Angst, Trauer, Scham, Unsicherheit und Selbstzweifel. Vielleicht fühlst du dich bei diesen Gefühlen machtlos.
Wut ist dagegen ein Gefühl, wo du dich stärker fühlst. Du überspielst die schwachen Gefühle mit Wut. Oder sie kippen buchstäblich in Wut um. Statt zu trauern, wirst du wütend. Statt dich zu schämen, wirst du wütend. Statt Angst zu empfinden, wirst du wütend. Es kann sein, dass du dann auf andere wütend wirst und auf sie losgehst. Das fühlst du dich stärker als bei dem machtlosen Gefühl davor. Aber logischerweise schaffst du dir damit auf die Dauer nur Probleme.
Wann ist Angst gut, wann nicht?
Angst ist furchtbar unangenehm. Sie zeigt uns, dass wir in Gefahr sind. Sie hilft uns, dass wir uns in Sicherheit bringen. Drum ist sie für unser Überleben sehr wichtig.
Angst steht uns dann im Weg, wenn sie zu gross ist oder wenn sie dann auftritt, wo sie eigentlich gar nicht so nötig wäre. Da sie so unangenehm ist, weichen ihr Menschen oft aus. Sie vermeiden dann Situationen, die ihnen Angst machen. So lernen sie aber nicht, ihre Angst zu überwinden und mit ihr umzugehen. Es ist daher wichtig, dass du ihr nicht ausweichst. Besser ist es, wenn du lernst, dich selbst so weit zu beruhigen, dass die Angst nicht übergross wird. Lies dazu unseren Text über die Selbstberuhigung und die Tipps, wie du Gefühle mit dem Körper beeinflussen kannst.
Warum ist Scham wichtig?
Scham ist für viele das unangenhmste Gefühl. Das geht so richtig an die Nieren, und man will im Boden versinken. Die Scham will uns dabei helfen, dass unsere persönlichen Grenzen geschützt werden und dass wir uns nicht auf eine Weise benehmen, wo wir Probleme kriegen können. Bei der Scham ist es auch wichtig, dass du verstehst: Es geht hier nicht um Leben und Tod, sondern es ist einfach ein total unangenehmes Gefühl. Auch hier helfen Selbstberuhigung und unsere Tipps, wie du Gefühle mit dem Körper beeinflussen kannst.
Warum fällt mir der Umgang mit Gefühlen schwer?
Wenn es dir schwerfällt, Gefühle zuzulassen oder zu zeigen, liegt das an deiner "Gefühlslerngeschichte". Du hast möglicherweise schon als Kind schlechte Erfahrungen damit gemacht, wenn du irgendwelche Gefühle gehabt oder gezeigt hast. Lies dazu bitte auch diesen Text über versteckte Gewalt in der Familie. Statt dass man dich getröstet hat, wenn es dir schlecht ging, hat man dich vielleicht niedergemacht. Oder man hat deinen Gefühlszustand ausgenutzt. Oder man hat dir absichtlich schlimme Gefühle zugeführt.
In so einem Umfeld musstest du allein lernen, irgendwie mit deinen Gefühlen klar zu kommen. Da hast du wahrscheinlich Methoden gefunden, die zwar kurzfristig machten, dass es besser ging. Diese stehen dir aber jetzt vielleicht im Weg. Wir schreiben hier über solche Methoden, Gefühle wegzumachen: Verdrängen, Abwehren, Abspalten, Abstumpfen, Überspielen und Umwandeln. Wir erklären dir, warum sie auf die Dauer schädlich sind.
Warum ist Verdrängen so schädlich?
Gefühle verdrängen ist eine Methode, sie weniger zu spüren. Wie verdrängt man Gefühle? Vielleicht lenkst du dich ab, indem du irgend etwas tust, was dich auf andere Gedanken bringt – zum Beispiel klickst du dich auf deinem Smartphone stundenlang durch alles Mögliche durch. Das ist an sich nicht schädlich. Aber so vermeidest du vielleicht Wichtiges, das du tun solltest.
Vielleicht sorgst du auch dafür, dass du ständig was um die Ohren hast. Es kann sein, dass du deshalb ziemlich im Stress bist. Aber so weichst du der Ruhe aus. Ruhe kann beängstigend sein, denn da könnte ja was hochkommen. Vielleicht sorgst du deshalb auch dafür, dass du nie allein mit dir selbst bist.
Hier sind noch ein paar wirklich schädliche Verdrängungsmethoden: Du betrinkst dich, um dich zu lockern oder zu beduseln. Du nimmst Drogen, um die Gefühle weg zu machen. Du isst zuviel, um dich zu trösten. Du isst zuwenig, um gefühlskalter zu werden. All das kann kurzfristig helfen, aber auf die Dauer nicht. Im Gegenteil: Du kannst abhängig werden von dieser Verdrängungsmethode und immer mehr davon brauchen. Denn Gefühle lassen sich nicht einfach so verdrängen. Sie melden sich, und in der Regel immer stärker.
Warum ist Abwehr ein Teufelskreis?
Wenn du unangenehme Gefühle abwehrst, kann es sein, dass du in eine ziemliche Spannung reinkommst. Denn Abwehr geht immer mit Spannung einher. Wenn ein Gefühl hochkommt, sagst du dir vielleicht: "Reiss dich zusammen". Überleg dir mal, was "zusammenreissen" heisst. Da spannt man sich buchstäblich an. Körperlich. Diese Spannung kann dann immer grösser werden.
Dummerweise melden sich in so einer Körperspannung eher unangenehme Gefühle, denn dein System wähnt sich jetzt in Gefahr. Das heisst: Wenn vorher Wut oder Angst da waren, werden sie jetzt stärker. Du wehrst sie noch mehr ab und kommst in noch grössere Spannung. Das ist ein richtiger Teufelskreis.
Die Spannung kann so gross werden, dass du sie nur noch schlecht aushältst. Vielleicht löst sie sich nur, indem du erbrichst, dich ritzt oder sonst irgendwie verletzt. Vielleicht baust du sie auch mit stundenlangem Gamen oder mit Alkohol oder Drogen, stundenlangem Sport oder exzessiver Selbstbefriedigung ab. Oder vielleicht explodierst du auch und gehst auf andere los.
Was, wenn ich ein Gefühl nicht fühle?
Es kann sein, dass du ein Gefühl gar nicht verdrängen oder abwehren musst, weil du es einfach wirklich nicht fühlst. Du hast keinen Zugang zu ihm. Das kann passieren, wenn du immer wieder extreme, schlimme Dinge erlebt hast. In der Regel geht es um Dinge, die in der Kindheit passiert sind. Da wurde zum Beispiel immer grosse Angst geschürt, und niemand hat dich getröstet. Oder du wurdest ganz schlimm bestraft, wenn du deine Wut gezeigt hast.
Du hast dann möglicherweise gelernt, deine Wut oder deine Angst "abzuspalten". Das bedeutet, da ist ein verborgener Teil von dir, der das ganze schlimme Gefühl in sich trägt, der diesen ganzen Gefühlszustand vereint. Man spricht dann auch von Dissoziation. Du hast keinen Zugang zu diesem Teil. Möglicherweise meldet er sich aber irgendwann, Jahre oder Jahrzehnte später, und die schlimmen Gefühlszustände übermannen dich. Man spricht dann von einem Flashback. Mehr darüber liest du in diesem Text.
Warum bin ich so abgestumpft?
Vielleicht lassen dich bestimmte Dinge einfach kalt. Zum Beispiel macht dich jemand vielleicht aufs übelste fertig. Andere sagen, dass du das nicht mit dir geschehen lassen solltest. Aber du findest das auf eine seltsame Weise "normal". Dann schau mal in deine Vergangenheit. Wenn du als Kind immer wieder offensichtliche oder versteckte Gewalt erlebt hast, wurde das "normal". Mama hat mit Selbstmord gedroht? Das war Alltag. Papa hat dich verprügelt? Klar, jeden Freitag. Das war Routine. Die Eltern schrien sich jeden Abend an? Ja, das gehörte halt dazu.
Wer so etwas zum ersten Mal erlebt, erlebt dabei ganz schlimme Gefühle – Angst, Wut, Verzweiflung – auch Ekel. Denn eigentlich ist das alles ekelerregend. Aber die Ekelreaktion stumpfte irgendwann mal ab. Du musstest in diesem Elternhaus ja überleben. Da musstest du das, was du erlebt hattest, irgendwie normalisieren. Mehr über solche Überlebensstrategien liest du in diesem Text.
Was, wenn ich ganz gefühlsleer bin?
Manchmal geht gar nichts mehr. Innerlich fühlt es sich leer und gleichgültig an. Das kann in einem Augenblick so sein, und dann, ein paar Minuten oder Stunden später, ist es wieder besser. Das kennen wohl die meisten Menschen. Es kann sein, dass es jetzt einfach "zuviel" war, und dein System schützt dich vor Gefühlen.
Etwas anderes ist es, wenn dieser Zustand über lange Zeit bestehen bleibt. Das ist zum Beispiel so, wenn du eine Depression hast. Du kannst davon ausgehen, dass in der Leere etwas ist. Aber aus irgend einem Grund darf das jetzt nicht sein. Hier ist psychotherapeutische Unterstützung sehr sinnvoll.
Wie lerne ich meine Gefühle kennen?
Vielleicht merkst du, dass es das eine oder andere Gefühl gibt, das du bei dir nicht so gut kennst. Du kannst davon ausgehen, dass du dieses Gefühl auch irgendwo in dir hast – du bist schliesslich ein Mensch. Überleg dir, wie du es schaffst, diesem Gefühl aus dem Weg zu gehen. Wie vermeidest du es? Wie lenkst du dich ab? Wie überspielst du es? Wie wehrst du es ab?
Was sagt mir der Körper?
Gefühle zeigen sich immer auch irgendwie im Körper. Es kann sein, dass du ein Gefühl nicht kennst, aber du kennst einen Körperzustand. Es kann zum Beispiel sein, dass du nicht so klar erkennst, ob du Angst hast. Aber du kriegst vor einer Prüfung immer Bauchweh. Da zieht sich der Magen zusammen, und dein autonomes Nervensystem reagiert auf die Gefahr mit Übelkeit.
Überleg dir, was für unangenehme Körperzustände du kennst, die mit keinen Krankheiten verbunden sind. Viele Schmerzen hängen zum Beispiell mit einer Dauerspannung zusammen. Und diese Spannung kann damit zusammenhängen, dass du dich zusammenreisst oder zurücknimmst.
Wie beeinflusse ich meine Gefühle über mein Verhalten?
Indem du dein Verhalten änderst, verändert sich auch, wie du ein Gefühl erlebst. Deine Scham und Angst werden kleiner, wenn du die Situationen, die sie auslösen, durchstehst, statt sie zu vermeiden. Und deine Wut handelt dir weniger Probleme ein, wenn du sie dort auslebst, wo niemand zu Schaden kommt. Du kannst also durch dein Verhalten auch deine Gefühle beeinflussen. Zusätzlich gibt es einige nützliche Tricks, die du mit deinem Körper machen kannst, damit du die Gefühle besser im Griff hast.
Frag dich, welche unangenehmen Gefühle du bei dir kennst: Ärger? Wut? Angst? Trauer? Scham? Unsicherheit? Selbstzweifel? Überleg dir: Wann hast du sie das letzte Mal erlebt? Was hast du getan, als sie in dir hochgekommen sind? Findest du, du hast gute Wege gefunden, mit ihnen umzugehen? Oder hast du Ärger gekriegt? Oder hast du irgendetwas gemacht, das du eigentlich nicht tun wolltest? Oder hast du etwas nicht gemacht, das du gern getan hättest? Und dann frag dich, wie du dich hättest verhalten können, so dass du dich nachher besser gefühlt hättest. Was hättest du anders getan? Was wäre nachher anders gewesen?
Nimm dir eine Situation und male dir das andere Verhalten am besten vor dem Einschlafen im Bett aus. So prägst du dir das gute Gefühl besser ein, und es wird für dich einfacher sein, das neue Verhalten in Wirklichkeit auszuprobieren.
Wie lerne ich mit meinen Gefühlen umgehen?
Wir haben dazu verschiedene Texte mit Tipps geschrieben. Lies darüber nach…
- …wie hinter all diesen Gefühlszuständen das autonome Nervensystem steht.
- …Lies darüber nach, wie du dich selbst beruhigen und trösten kannst,
- …wie du sie über den Körper beeinflussen kannst
- …wie du zeigen kannst, wie es dir wirklich geht.
Wenn du mit deinen Gefühlen auch bei allen Tipps nicht klar kommst, dann hat das wahrscheinlich eine längere Geschichte. Es macht sehr viel Sinn, dem nachzugehen. Dazu empfehlen wir dir diesen Text.
All deine Fragen und Gedanken rund um deine Gefühle kannst du uns auch anonym ins Fragefenster schreiben.